EGMR
entscheidet: Österreich diskriminiert Zeugen Jehovas
31.07.2008 | 19:52 | Von ERICH KOCINA (Die Presse)
http://diepresse.com/home/panorama/religion/402849/index.do?from=rss
Straßburg
gibt den Zeugen Jehovas Recht. Und sieht Verstöße gegen die
Menschenrechts-Konvention.
WIEN. Die österreichischen Behörden verletzen die in
der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebene Religionsfreiheit. Zu
diesem Urteil kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
Gleichzeitig sieht der Gerichtshof in Straßburg auch eine Verletzung des
Diskriminierungsverbots im österreichischen Religionsrecht.
Die Zeugen Jehovas hatten (gemeinsam mit einer Freikirche) vor
dem EGMR geklagt. Sie sehen sich durch die Gesetzeslage benachteiligt. Eine
Argumentation, der sich auch die Richter in Straßburg anschlossen. Zum einen
stößt sich der Gerichtshof daran, dass für eine Anerkennung eine gewisse
Mitgliederzahl notwendig ist (sie liegt derzeit bei etwa 16.000 Menschen), zum
anderen sei die Frist, die für eine Anerkennung notwendig ist, zu starr. Demnach
muss eine Religionsgemeinschaft mindestens 20 Jahre bestehen, davon zehn Jahre
als religiöse Bekenntnisgemeinschaft. Und auch beim Recht auf ein faires
Verfahren habe Österreich seine Pflichten nicht erfüllt, so die Richter.
„Viele Bedenken, die schon länger in der Wissenschaft bestanden haben, sind
durch dieses Urteil bestätigt worden“, sagt Religionsrechtler Herbert Kalb von
der Uni Linz. Das Urteil sei jedenfalls ein deutliches Signal, „dass das Zentrum
des Religionsrechts, nämlich das Anerkennungsrecht, in der Tat problematisch
ist“. Die bisher geübte Praxis des Nichtanerkennens, so Kalb, werde in
irgendeiner Art geändert werden müssen. Österreich sei jedenfalls verpflichtet,
das EGMR-Urteil umzusetzen.
Im für Religionsfragen zuständigen Kultusamt im Bildungsministerium gibt man
sich abwartend: „Erst müssen wir das schriftlich ausgefolgte Urteil komplett
lesen“, sagt Leiter Oliver Henhapel zur „Presse“. Und auch danach werde man noch
einige Zeit brauchen, um alle Konsequenzen durchzudenken. Eine erste direkte
Konsequenz ist die Verpflichtung der Republik, 10.000 Euro Schadenersatz an die
Zeugen Jehovas zu bezahlen und die Verfahrenskosten in Höhe von 42.000 Euro zu
tragen.
Chancen für andere Religionen?
Für Jehovas Zeugen, die sich durch das Urteil bestätigt sehen, sind die
Konsequenzen hingegen gering – für sie ist es eher eine späte Genugtuung. Denn
seit Anfang Juli läuft im Kultusamt bereits ein Verfahren auf staatliche
Anerkennung. Spätestens Anfang 2009, so hofft man, soll es die volle Anerkennung
geben. Richtungsweisend ist das Urteil vielmehr für alle anderen nicht
anerkannten Religionsgemeinschaften – darunter etwa Hindus oder Baptisten. Denn
abgesehen von den Aleviten, die sich bald als eigene Gemeinschaft konstituieren
wollen, hat keine Gemeinschaft die erforderliche Anzahl von Mitgliedern, die für
eine staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft notwendig wären. Auch mit
dem 20-jährigen Bestand können viele nicht aufwarten. Je nachdem, wie die
Republik auf das Urteil des EGMR reagiert, könnten sich für sie neue
Möglichkeiten auftun, staatlich anerkannt zu werden.
Und neue Munition für dieses Vorhaben könnte schon bald vorliegen:
Religionsrechtler Kalb erwartet, dass dieses Urteil nicht das letzte in der
Angelegenheit sein wird. Denn in Straßburg seien noch einige weitere Klagen
anhängig, zu denen sich der Gerichtshof noch äußern müsse.
Sieg für Zeugen Jehovas:
Österreich diskriminiert Religionen
31.07.2008 | 14:52 | (DiePresse.com)
http://diepresse.com/home/panorama/religion/402584/index.do?direct=402849&_vl_backlink=/home/panorama/religion/402849/index.do&selChannel=
Das österreichische Religionsrecht verletzt Menschenrechte, urteilt der Europäische Gerichtshof in Straßburg. Die Zeugen Jehovas gelten nur als "religiöse Bekenntnis-Gemeinschaft", nicht als Kirche. Die Zeugen Jehovas freuen sich über einen juristischen Erfolg gegen die Republik Österreich: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit einer Mehrheit von sechs zu einer Stimmer in einer heute veröffentlichten Entscheidung festgestellt, dass das österreichische Religionsrecht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.
Die Zeugen Jehovas hatten vor drei Jahren geklagt, weil ihnen 20 Jahre der
Status als Rechtspersönlichkeit verweigert wurde, was ihrer Meinung nach eine
Diskriminierung und eine Benachteiligung gegenüber staatlich anerkannten Kirchen
darstellt. So seien etwa nur Spenden an anerkannte Kirchen und
Religionsgesellschaften steuerlich absetzbar. Diskriminierungen seien auch durch
das "teilweise staatlich geförderte Sektenstigma" gegeben.
Kirchen in Österreich
Derzeit sind in Österreich 13 Kirchen staatlich anerkannt, hinzu kommen elf
eingetragene Bekenntnisgemeinschaften - darunter die Zeugen Jehovas.
Nach Ansicht des Gerichtshofs ist die Religionsfreiheit der Beschwerdeführer
verletzt, weil es in Österreich zwei Klassen von Religionsgemeinschaften gibt.
Dadurch werde eine Klasse minderwertiger Religionen geschaffen.
Die Zeugen Jehovas hatten im Jahr 1978 einen Antrag auf den Status als offiziell
anerkannte Religionsgesellschaft gestellt. 1998 war ihnen von Österreich der
Status einer eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft zuerkannt worden, mit dem auch
eine Rechtspersönlichkeit verbunden ist. Zehn Jahre danach ist die Probezeit
abgelaufen. Derzeit prüft das Kultusamt, ob die Zeugen Jehovas als offizielle
Kirche anerkannt werden.
Österreich hat das Recht auf ein faires Verfahren beim Antrag auf Anerkennung
als Religionsgesellschaft verletzt, urteilten die Straßburger Richter
einstimmig. Die Kritik der Zeugen Jehovas an fehlenden Beschwerdemöglichkeiten
wurde von dem Menschenrechtsgericht verworfen. Den Zeugen Jehovas, deren Klage
von vier österreichischen Staatsbürgern unterstützt wurde, wurden von dem
Gericht 10.000 Euro Schadenersatz zugesprochen. Außerdem muss Österreich die
Verfahrenskosten in Höhe von 42.000 Euro tragen.
Zeugen Jehovas: Signalwirkung
Johann Zimmermann, der Sprecher der Zeugen Jehovas in Österreich, zeigte sich
erfreut: "Das Urteil ist nicht nur für die beiden Beschwerdeführer, sondern für
viele Religionsgemeinschaften von Interesse. So sind auch Baptisten und Hindus
in Österreich nicht anerkannt. Ihre Mitglieder werden vom Gesetz in vieler
Hinsicht allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer nicht anerkannten Kirche
benachteiligt." Der Gesetzgeber sei nun angehalten, auf die Entscheidung zu
reagieren und die Rechtslage anzupassen, so Zimmermann.
(Red.)
ANERKANNTE RELIGION
■Anerkannt: In Österreich gibt es 13 anerkannte Kirchen und
Religionsgesellschaften, die einige Rechte genießen, etwa Religionsunterricht an
öffentlichen Schulen und Recht auf Errichtung konfessioneller Privatschulen.
■Eingetragene Bekenntnisgemeinschaften gibt es 11. Sie können nach 10 Jahren den
Antrag auf staatliche Anerkennung stellen. Dafür müssen sie mindestens 2
Promille der Bevölkerung (16.000 Mitglieder) stellen – diese Voraussetzung
erfüllen derzeit nur die Zeugen Jehovas.