Zeitschrift für Rechtspolitik
11 - November 2001, 34. Jahrgang - Herausgegeben
v. Prof. Dr. Rudolf Gerhardt , Mainz, & Prof.Dr. Martin Kriele,
Köln
Redaktion: Rechtsanwalt Martin W.Huff,
Palmengartenstr. 14, 60325 Frankfurt a. M.
Religiöse
Diskriminierung in Deutschland
Professor
Dr. Martin Kriele, Köln
In
keiner freiheitlichen Demokratie (mit der Ausnahme von Frankreich und Österreich -Anm.d.Red.)
wird Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung so schamlos betrieben wie in
Deutschland.
I.
Neue Glaubensgemeinschaften sind illegitim
In einer schleswig-holsteinischen Kleinstadt
gibt es eine kleine Gebets- und Meditationsgemeinschaft "Schöpferisches Zentrum
Oase". Gegen sie entfesselte der für die Region zuständige Sektenbeauftragte eine
Kampagne der üblen Nachrede. Willfährige Journalisten stellten sich in seinen Dienst.
Kurz darauf ging das rietgedeckte Haus, während die Mitglieder darin schliefen, in
Flammen auf. Die Kriminalpolizei stellte Brandstiftung fest. Die Täter sind bis heute
nicht gefunden. Bevölkerung und Medien unterließen die sonst übliche Mithilfe bei der
Aufklärung. Der Sektenbeauftragte wurde Bundestagsabgeordneter und erhielt trotz dieser
Geschehnisse das Bundesverdienstkreuz.
Der Vorgang macht ein Problem anschaulich,
das in zahlreichen Varianten auftritt und uns in allen Teilen Deutschlands begegnet.
Religiöse Gemeinschaften, die sich erst im 20. Jahrhundert gebildet oder in Deutschland
etabliert haben, sind zwar legal, gelten aber nicht als legitim, d. h. sie erscheinen dem
gesellschaftlich herrschenden Wertesystem als inakzeptabel. Das gilt unabhängig davon, ob
sie christlich oder fernöstlich oder sonstwie orientiert sind; bei den christlichen auch
unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb der Kirche stehen. Als nicht legitim
gelten, heißt einer Fülle von Diskriminierungen ausgesetzt zu sein, nicht selten mit
äußerst schwerwiegenden Folgen1.
Die Diskriminierung betrifft etwa
600 kleine und kleinste Gemeinschaften, die zusammen ca. 0,5% der Bevölkerung ausmachen
und deren Gebets- und Meditationspraxis sich völlig im Rahmen dessen hält, was in der
Menschheitsgeschichte stets und allenthalben normal war. Man behandelt sie, als seien sie
jenen Sekten vergleichbar, die kollektiven Selbstmord verüben, Giftgasanschläge oder
sonstige Verbrechen begehen, sich mit offensichtlichen Verrücktheiten beschäftigen oder
Praktiken pflegen, wie sie Scientology vorgeworfen werden. Was diese betrifft, warten wir
geduldig auf amtliche Ermittlungsergebnisse und eine Klärung der Frage, ob es sich
überhaupt um eine Religionsgemeinschaft handelt.
Unstreitig sind die immanenten Schranken der
Religionsfreiheit; deshalb ist auch gegen die Aufhebung des Religionsprivilegs im
Vereinsgesetz kein Einwand zu erheben. Ebenso unstreitig ist das Recht, die Gemeinschaften
zu kritisieren. Dieses Recht steht zwar nicht dem Staat zu, der zur weltanschaulichen
Neutralität verpflichtet ist, wohl aber den Kirchen und erst recht privaten
Organisationen oder Einzelnen. Die neuen Glaubensgemeinschaften nehmen ja auch für sich
das Recht in Anspruch, sich gegenseitig und die Kirche zu kritisieren. Es gibt ja auch
manchen Anlass zur Kritik. Das ist alles unproblematisch. Die Illegitimisierung entsteht
nicht durch Kritik, sondern durch eine außerhalb aller Vernunft liegende kollektive
Hysterie, die sich ihrerseits der rationalen Kritik und Kontrolle entzieht und sich in
hemmunglosen Diffamierungskampagnen auslebt. Sie führte sogar zu einer Enquetekommission
des Bundestags. Diese konnte nicht umhin, sich am Ende ihre eigene Überflüssigkeit zu
bescheinigen: Sie kam zu dem Ergebnis, die neuen religiösen Gemeinschaften stellten
derzeit "keine Gefahr dar für Staat und Gesellschaft oder für gesellschaftlich
relevante Bereiche".
Diese Formulierung ließ allerdings offen,
ob im Einzelfall Gefahren für Einzelne, insbesondere für die Mitglieder bestehen
könnten. Hier konnte man ansetzen und sich als Beschützer der Mitglieder aufspielen: Die
geistige und psychische Freiheit sei nämlich beim Eintritt, während der Dauer der
Mitgliedschaft und beim Austritt beeinträchtigt. Die Verlockung zum Eintritt geschehe
mittels raffinierter Manipulation. Alsdann befinden sich die Mitglieder in
"Abhängigkeit", und diese werde auf jede erdenkliche Weise zu ihrer Ausbeutung
genutzt. Austrittswillige würden bedroht, Ausgetretene verfolgt.
Die Enquètekommission hatte eine Reihe
religionswissenschaftlicher Gutachten angefordert, die das bestätigen sollten. Sie kamen
allesamt zum gegenteiligen Ergebnis. Die religiös suchenden Menschen suchen solange, bis
sie die Gemeinschaft gefunden haben, die sie als passend zu ihrer biographischen Situation
und geistig-seelischen Struktur empfinden. Sie bleiben in der Gemeinschaft so lange, wie
sie passt und verlassen sie, wenn sie nicht mehr passt. Dies alles geschieht freiwillig.
Es gibt weder Hinweise auf Manipulation beim "Einstieg", noch auf Behinderung
beim "Ausstieg", noch auf "Abhängigkeit" während der Mitgliedschaft2. Diese drei erfundenen Unfreiheiten gelten
seither als wesentliche Merkmale des Begriffs "Sekte" im neuen deutschen
Sprachgebrauch. Was man in den Begriff hineingesteckt hat, kann man alsdann aus ihm
"ableiten" und auf die jeweils angegriffene Gemeinschaft projizieren, ohne dass
es im Einzelfall einer Sachverhaltsaufklärung bedarf.
Im
Hintergrund steht die Abneigung gegen Klöster und Orden. Nicht nur Atheisten, sondern
auch Protestanten und sogar manche Katholiken können sich nicht vorstellen, dass sich
Menschen aus spirituellen Gründen freiwillig in eine Ordensdisziplin hineinbegeben
können, sich darin auch noch wohlfühlen und auf den Austritt freiwillig verzichten. Das
sei absolut unglaubwürdig. Diese Vorstellung wird nun radikalisiert und in
generalisierter Form auch den neuen religiösen Gemeinschaften entgegengehalten. Man hält
es für eine humane Aufgabe, Menschen am Eintritt zu hindern bzw. sie wieder
herauszulösen und zu normalisieren. Die Frommen werden zwangsbefreit.
II.
Die Herbeiführung der Illegitimität
Das auffallend Neue seit den 70er Jahren
ist, dass sich kirchliche Sektenbeauftragte beider Konfessionen die These von den drei
Unfreiheiten zu eigen machen, natürlich nur, um sie gegen die neuen religiösen Gemeinschaften zu wenden. Dies
geschieht nicht selten ohne Realitätsbezug, ohne sorgfältige Prüfung und ohne Achtung
vor der Menschenwürde. Es ist wichtig zu betonen, dass es
1. Die Kirchenleitungen haben an sich die
Amtspflicht, Sorgfalt in der Personalauswahl walten zu lassen und ihre Beauftragten durch
verwaltungsinterne Richtlinien und durch Kontrolle der Amtsführung in Pflicht zu nehmen.
Viele nehmen leider diese Amtspflichten in keiner Weise ernst. Selbst
Dienstaufsichtsbeschwerden von Betroffenen werden ungeprüft zurückgewiesen oder gar
nicht beschieden. Wo aber die Beauftragten nach Willkür handeln, ja ihre Vorgesetzten
beliebig manipulieren können, geraten sehr seltsame Charaktere in dieses Amt.
2. Die Sektenbeauftragten verfügen über
ein erstaunlich großes Heer von willfährigen Journalisten. Es liegt anscheinend in der
Natur des Menschen, die kollektive Isolierung und Diskriminierung kleiner und schwacher
Außenseiter mit Lust zu betreiben. Man kennt das aus Schulklassen, Internaten usw. An
sich gehört es zum Ethos des Journalisten, denjenigen zu Hilfe zu kommen, denen Unrecht
getan wird, Sachverhalte aufzuklären und die größten und mächtigsten Institutionen zur
Rechenschaft zu zwingen. Hier nun bietet sich - erstmals seit der Nazizeit - die
Gelegenheit, genau umgekehrt zu verfahren, also, wie der Volksmund sagt, "die Sau
rauszulassen", d. h. mit den Mächtigen auf die Illegitimen einzudreschen.
Appellieren diese an Chefredakteur, Intendanten oder Presserat, stellen die sich selbst in
übelsten Fällen noch schützend vor die Verleumder und sehen in der Beschwerde einen
nicht hinnehmbaren Angriff auf die Pressefreiheit.
3. Sektenbeauftragte und Journalisten
berufen sich auf das Zeugnis so genannter "Aussteiger", deren Namen sie freilich
verschweigen, deren Angaben also nicht überprüfbar sind. Manchmal gibt es sie wirklich
und sie lassen sich sogar ermitteln. Dann zeigt sich Folgendes: Im Anfang steht ein
persönliches Zerwürfnis, ein Ausscheiden in Unfrieden. Die Sektenbeauftragten suchen und
sammeln mit Vorliebe solche "Aussteiger", nehmen deren Aussage für bare Münze,
hören die Gegenseite nicht, stellen keine Nachforschungen an. Täten sie das, würden
sich die Dinge oft ganz anders darstellen. In einem Fall war der "Aussteiger"
aufgefordert worden, sich mit seinem Vater zu versöhnen, den er jedoch hasste. In einem
anderen war ihm nahegelegt worden, die Schuld für sein eheliches und berufliches
Missgeschick nicht nur bei anderen, sondern auch bei sich zu suchen; er war empört und
wandte sich von sich aus an den Sektenbeauftragten. Es mag auch vorkommen, dass ein
"Aussteiger" berechtigte Vorwürfe erhebt. Aber das weiß man
Und
selbst berechtigte Vorwürfe brauchen die Gemeinschaft nicht prinzipiell zu
diskreditieren; Fehler machen Menschen überall. Was erheben ausgetretene ehemalige
Kirchenmitglieder nicht alles für Vorwürfe gegen die Kirche - berechtigte und
unberechtigte! Kein vernünftiger Mensch wird dann annehmen, ihre Berichte vermittelten
ein zutreffendes Bild vom Wesen der Kirche. Bei "Aussteigern" aus neuen
Glaubensgemeinschaften wird das ohne weiteres unterstellt.
III.
Das Versagen des gerichtlichen Rechtsschutzes
Vor Gericht haben die Angegriffenen kaum
Chancen gegen die Presse und gegen die kirchlichen Beauftragten.
1. Nicht nur Wertungen, sondern auch falsche
Tatsachenbehauptungen, die mit Wertungen vermengt sind, fallen unter die Meinungs- und
Pressefreiheit. Kein professioneller Verleumder wird falsche Tatsachenbehauptungen nackt
und bloß aufstellen, sondern sie stets mit Ausdrücken der Abscheu, der Verachtung, der
Empörung usw. würzen. Damit macht er sich unangreifbar, das Persönlichkeitsrecht tritt
zurück, die übelsten Verleumdungskampagnen haben freie Bahn.
2. Hat man es aber ausnahmsweise mit einer
unvermengten falschen Tatsachenbehauptung zu tun, geschieht Folgendes: Der Verleumder
müsste eigentlich Belegtatsachen beibringen und beweisen. Statt dessen beruft er sich auf
angebliche Aussagen eines angeblichen "Aussteigers", dessen Namen er aber
verschweigt. Das darf er zwar auf Grund des Informantenverschweigungsrechts, das der
Presse zusteht, das aber auch den Sektenbeauftragten zugebilligt wird, auch wenn sie keine
Geistlichen sind. Eigentlich ist das dann das Risiko des Beklagten; er hätte seiner
Darlegungs- und Beweispflicht auf andere Weise zu genügen. Von dieser Pflicht sehen ihn
die Gerichte aber durch das Informantenverschweigungs-recht entlastet, wenn der Kläger
ein Illegitimer ist. Sie glauben ihm einfach, dass er seine Behauptungen beweisen könnte,
wenn er durch dieses Recht nicht daran gehindert wäre.
3. Der Kläger macht geltend: Man weiß
weder, ob es den angeblichen Informanten wirklich gibt, noch ob er das Behauptete wirklich
gesagt hat, noch ob das, was er eventuell gesagt hat, der Wahrheit entspricht. Er trägt
vor, es sei aus den und den Gründen nicht wahr und bietet dafür Beweis an. Seine
Einwände und Beweisanträge bleiben dann einfach unbeachtet. Denn Mitglieder seiner
Gemeinschaft, die die Unwahrheit der Behauptungen bezeugen könnten, gelten von vornherein
als unglaubwürdig. Ihre Zeugenaussage würde ja nur zeigen, wie abhängig sie von ihrem
Sektenguru sind; sie würde also das Gegenteil des Gesagten beweisen. Also erscheint es
überflüssig, sie zu hören. So ist den Illegitimen jede Möglichkeit auf Rehabilitierung
abgeschnitten.
4. Ein Kläger stellte Beweisanträge, mit
denen er den verleumderischen Charakter der gegen ihn verbreiteten Vorwürfe ans Licht
bringen wollte. Das Gericht machte die Sachverhaltsaufklärung auf folgende Weise
überflüssig: Es hörte lediglich die beiden Verleumder - den Journalisten und den
Sektenbeauftragten, auf den er sich bezogen hatte - an. Wie zu erwarten, beteuerte der
Journalist, den Sektenbeauftragten korrekt zitiert zu haben, dieser behauptete, der
Journalist hätte ihm die Zitate in den Mund gelegt. So stand Aussage gegen Aussage. Die
genaue Urheberschaft war nicht mit letzter Sicherheit bewiesen, also kam es auf die
Unwahrheit der Behauptungen nicht mehr an. Die Presse berichtete triumphierend, der
Kläger sei mit seiner Klage gescheitert.
5. In einem Fall hatte die Beklagte den
Sektenbeauftragten als Zeugen für eine von ihm aufgestellte Behauptung benannt. Dieser
verfügte über keinerlei Belegtatsachen. Doch bot der Kläger umfassenden Beweis dafür
an, dass die Behauptung unmöglich wahr sein konnte. Er erwartete, der Sektenbeauftragte
werde nicht riskieren, einer falschen uneidlichen Aussage überführt zu werden. Vor
Beginn seiner Vernehmung begab sich der Pressesprecher des Gerichts zu dem auf dem Flur
wartenden Sektenbeauftragten, man sah beide längere Zeit miteinander tuscheln. Alsdann
wiederholte der Sektenbeauftragte seine falsche Behauptung in der Sicherheit, kein Risiko
einzugehen. Tatsächlich verlangte das Gericht keine Belegtatsachen und ließ die
Beweisanträge des Klägers einfach unbeachtet. Im Urteil heißt es, zwar habe der
Sektenbeauftragte einen nicht immer überzeugenden Eindruck" gemacht. Auch hatten die
Richter "nicht das Gefühl, sich auf seine Erinnerung ... verlassen zu können".
Aber trotzdem sei ihm zu glauben, basta. Die Sachverhaltsaufklärung unterblieb.
6. Bestätigt das Berufungsgericht ein
solches Urteil, so ist dem Kläger der Zugang zum Revisionsgericht abgeschnitten. Denn
dieses hat die tatsächlichen Feststellungen der Instanzgerichte als gegeben
vorauszusetzen, also auch, dass der Sektenbeauftragte glaubwürdig und seine unbewiesen
Behauptungen bewiesen seien, auch wenn eine ordentliche Beweiserhebung ihre Unwahrheit
leicht hätte ans Licht bringen können. Den Illegitimen bleibt nur noch die Möglichkeit,
die Verletzung des rechtlichen Gehörs und anderer Grundrechte geltend zu machen.
Kurz: Gegen Kirche, Presse und
Berufungsgerichte genießt der Illegitime praktisch keinen Rechtsschutz. Diese drei
Institutionen ragen wie drei Berggipfel über die Rechtssphäre hinaus. Der Verleumdete
ist auf Fairness angewiesen. Doch für den Illegitimen gibt es keine Fairness, das macht
ja gerade das Wesen der Illegitimität aus. Sucht er seine Rehabilitierung durch Klage
herbeizuführen, hat er keine Chance und gilt überdies als Querulant. Erhebt er keine
Klage, bestätigt er damit die Berechtigung der Vorwürfe und hat sich die Diskriminierung
selbst zuzuschreiben. Ein Illegitimer zu sein, bedeutet Gefangenschaft in einer
ausweg-losen Situation.
7. Da dieses System so reibungslos
funktioniert, kann man jeden Menschen dadurch in Verruf bringen, dass man ihm einfach
anhängt, eine Sekte zu bilden, auch wenn er nicht das Geringste mit einer solchen zu tun
hat. Man braucht sich nur an einen Sektenbeauftragten zu wenden. Ist dieser skrupellos
genug, stellt er sich dem Verleumder mit seiner Amtsautorität zur Verfügung, mobilisiert
seine journalistischen Hilfstruppen, diese verbreiten die Verleumdung, indem sie sie mit
üblen Wertungen vermengen. Damit ist jede Sachverhaltsaufklärung ausgeschlossen, der
Verleumdete ist in seiner Umgebung zu einem Illegitimen geworden.
8. Eine psychische Belastung so ungeheurer
Art löst in der Regel Erkrankungen aus, von Schlafstörungen bis zu Depressionen, in
einem Fall führte sie zu einer psychogenen Querschnittslähmung. Der ärztlichen
Wissenschaft sind ja zahlreiche Fälle solcher Art vertraut. Der Betroffene klagte und bot
Sachverständigen-Beweis dafür an, dass die Erkrankung durch die jahrelange, vom
Sektenbeauftragten ausgelöste Verleumdungskampagne adäquat verursacht ist. Das Gericht
hielt diesen Beweis für überflüssig. Denn auch wenn der Sektenbeauftragte die
Erkrankung adäquat verursacht habe, so habe er sie doch nicht verschuldet: Er habe nicht
vorausgesehen, dass die Kampagne den Betroffenen so arg belasten werde.
9. Die parteiische Introktination von
Richtern an den Richterakademien (Kriele, ZRP
1998, 349 [353 f.]) wird mit ungebrochener Schamlosigkeit fortgesetzt.
Es gibt allerdings auch sachliche und faire
Urteile wie z. B. das des OLG Frankfurt vom
10.2.2000 (dazu Kriele, ZRP 2001, 275). Sie
finden aber keine Erwähnung in den einschlägigen Rechtsprechungsberichten und entfalten
keine Präzedenzwirkung.
IV.
Die Folgen der Illegitimität
Wer auf solche oder ähnliche Weise zu
einem Illegitimen geworden ist, ist auch in seinem Umfeld alltäglichen Diskriminierungen
ausgesetzt.
Passanten bekreuzigen sich und wechseln die
Straßenseite. Verkäufer und Wirte übersehen den Wartenden geflissentlich. Vermieter
oder Verpächter kündigen. Grundstücksverkäufer verweigern den Vertragsschluss oder
nutzen die Notlage zu Wucherpreisen. Aus ihrem Arbeitsplatz werden die Illegitimen durch
Mobbing vertrieben. Gegen ihre wirtschaftlichen Angebote werden Boykottkampagnen
organisiert. Selbst Freunde, Mitarbeiter und Kunden, die von der Lügenhaftigkeit der
Angriffe überzeugt sind, wenden sich ab und bitten um Verständnis: Der Kontakt gefährde
ihre Reputation, ihre Ehe, ihren Arbeitsplatz, ihren Mietvertrag, das Vertrauen ihrer
Kunden usw.
Baubehörden
widerrufen bereits erteilte Baugenehmigungen. Finanzbehörden vermuten, der Sektierer
müsse durch Ausbeutung riesige Summen erwirtschaftet haben und erheben horrende
Nachzahlungsforderungen, die sofort zu begleichen sind, belegen sein kleines Anwesen mit
einer Arresthypothek, pfänden das Inventar und transportieren es ab. Um die
erforderlichen Gerichtsbeschlüsse zu erreichen, lügen sie das Gericht an. Die
entlastenden Zeugenaussagen werden als unglaubwürdig abgetan, ja als Beweis für die
Sektenabhängigkeit und somit für die Steuerschuld gewertet. Dienstaufsichtsbeschwerden
werden ohne jede Sachprüfung zurückgewiesen. Denn wer einen Illegitimen zu schädigen
und zu vertreiben sucht, wird schon Gründe haben und dient einer guten Sache.
V.
Der deutsche Sonderweg
In allen demokratischen Verfassungsstaaten
zeigt sich eine breite Tendenz, Diskriminierungen zu überwinden: Im Blick auf die
Farbigen, die Frauen, die Juden, die Behinderten, die Ausländer usw. Mögen auch manche
Einzelheiten umstritten sein, insgesamt findet die Grundtendenz auch in Deutschland breite
Akzeptanz. Die Scham wegen unserer Nazi-Vergangenheit, die Abscheu gegen den
Rechtsradikalismus und der Wunsch, in Einklang mit der zivilisierten Welt zu bleiben,
bestärken uns in unserem Rechtsgefühl, und dieses sagt uns: Diskriminierungen bedeuten
zugleich eine Missachtung der Würde des Menschen überhaupt.
Eigentümlicherweise ist aber die
Diskriminierung wegen der Religion und Weltanschauung aus diesem Grundkonsens noch
ausgenommen. Dass die neuen europäischen Richtlinien die Überwindung dieser
Diskriminierung einbeziehen3, ging, vorsichtig ausgedrückt,
nicht von deutscher Seite aus. Während die Umsetzung der Richtlinien, die die
Fremdenfeindlichkeit betreffen, im Bundesministerium der Justiz bereits vorbereitet wird,
was sehr zu loben ist, gibt es Tendenzen, die Diskriminierung wegen der Religion und
Weltanschauung zu verzögern und möglichst zu umgehen. Das ist unangebracht, da diese
Form der Diskriminierung gerade in Deutschland mit besonderer Intensität geübt wird. Mag
die Neigung zur Diskriminierung auch ein allgemein-menschliches Grundbedürfnis sein - es
tritt nirgendwo so offen zu Tage wie gerade hier.
Gewiss
gibt es gewisse Tendenzen auch anderswo, vor allem in Frankreich, das ja eine besondere
Tradition der religiösen Diskriminierung hat, man denke z. B. an die Vernichtung der
Templer, die Verfolgung der Hugenotten und den antireligiösen Terror der Französischen
Revolution. Die deutsche Besonderheit liegt aber in der Einhelligkeit der
Diskriminierungsbereitschaft. Sie reicht vom rechtskonservativen bis zum
linksextremistischen Rand des politischen Spektrums. Sachliches und anständiges Verhalten
zeigt sich nur bei Einzelnen, vor allem unter den Grünen, die sich damit
Will
man diese deutsche Besonderheit überwinden, muss man sie aus ihren Wurzeln heraus
verstehen. Dazu gehört zunächst die Tatsache, dass die liberale Tradition in Deutschland
nie sehr gefestigt war. Als am 24. 3. 1933 das Ermächtigungsgesetz erlassen wurde, gab es
nur noch vier liberale Angeordnete, und diese stimmten zu. Einer von ihnen war der
spätere Bundespräsident Theodor Heuss. Bei einem Besuch der Universität Freiburg wurde
er von Assistenten des Politologen Bergsträsser gefragt, was sich die Liberalen damals
eigentlich gedacht haben. Er soll ohne zu erröten geantwortet haben: "Mir ham halt
denkt, es geht gegen die Roten." Alsdann ging es gegen die Juden, die Roma und Sinti,
die Homosexuellen, die geistig Behinderten, die russischen Kriegsgefangenen und auch schon
gegen die Sekten. Die Illegitimen hatten vor Gericht keine Chance. Ein liberaler Anwalt
wie der tapfere Thomas Dehler, der Juden zu vertreten wagte, wurde als Juden-Sympathisant
in die Diskriminierung einbezogen. Nur Einzelne kamen aus individueller Verantwortung
heraus den Verfolgten zu Hilfe, versteckten sie z. B. in Klöstern und Scheunen und
versorgten sie mit Lebensmitteln. Die anderen gaben der Diskriminierung Rückhalt - aktiv
oder zumindest passiv.
VI.
Das Hexen-Grauen
Da wir uns nun im Großen und Ganzen zu
einer ehrlichen Distan-zierung von diesem deutschen Sonderweg durchgerungen haben, warum
ist uns das in Bezug auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit noch nicht gelungen?
Eine erste und vorläufige Antwort ist der Hinweis auf eine Tradition des Grauens vor
Magie und Esoterik, die sich nirgendwo in Europa derart intensiv und mit derart breiter
Zustimmung der Bevölkerung ausgelebt hat wie gerade in Deutschland4. Sie scheint den Volkscharakter tief im
Unterbewussten geprägt zu haben. Das Verbot der Hexenprozesse war das Verdienst von
Monarchen des 18. Jahrhunderts. Sie standen zum Teil der Freimaurerei oder anderen
esoterischen Strömungen nahe oder waren mehr oder weniger ungläubige Rationalisten. Die
Überwindung des Unrechts kam nicht aus dem Volk heraus, ging weder von den Kirchen noch
von Rechtsfakultäten aus.
Denn die Bevölkerung sah sich von
Hexen bedroht. Der "Hexenhammer", zuerst 1484 erschienen, hatte bis 1639 30
Auflagen erzielt. Zahllose Dunkelmänner machten seinen Inhalt populär und redeten dem
Volk die Ängste ein, die sich z. B. in Hänsel und Gretel und anderen Volksmärchen
spiegeln. Alsdann wurden die Hexenrichter als Beschützer und Befreier empfunden, denen
man so dankbar vertraute wie heute den Sektenbeauftragten. Dem Unrecht entgegenzutreten,
wäre nicht populär gewesen. Man wollte sich nicht exponieren, sondern in Einklang mit
den Volksströmungen bleiben. Wie der Wind geht, so neigt sich der Halm.
Es gab Ausnahmen. Im Jahre 1631 erschien das
Buch "Cautio Criminalis" des Jesuitenpaters und Liederdichters Friedrich Spee von Langenfeld, 1632 gab es eine 2.
Auflage, 1647 auch eine deutschsprachige Ausgabe5. Spee prüfte in 50 Kapiteln alle Argumente, die zur
Rechtfertigung der Hexenprozesse vorgebracht worden waren, und widerlegte sie Punkt für
Punkt, juristisch, theologisch und mit Gründen rationaler Vernunft. Einen Hexenprozess
muss man sich etwa so vorstellen: Ein Gerücht beschuldigt eine Frau, sie buhle um
Mitternacht mit dem Leibhaftigen auf der Kirchturmspitze. Während man sie foltert, starrt
sie entsetzt mit nach oben verdrehten Augen an die Decke. Damit ist klar, dass ihr von
dort aus der Leibhaftige die Kraft zuströmt, das Geständnis zu verweigern. Sie ist
überführt; man bindet sie auf einen Holzstoß und setzt ihn in Brand. Spee wusste, wovon er sprach. Er hatte als
Beichtvater an die 200 Opfer begleitet und nicht ein einziges schuldig gefunden. Machte er
das geltend, bewies der Umstand, dass die Hexe sogar ihren Beichtvater anlog, erst recht
den Teufelsbund. Spees Buch machte ihn selbst
verdächtig, ein Freund der Hexerei zu sein. Er entging der Inquisition mit knapper Not.
Die Verbreitung seines Buchs wurde massiv behindert. Es wurde aber trotzdem weiten Kreisen
bekannt.
Einige
Namen sind zu nennen, denen ein Ehrenplatz in der Geschichte gebührt: Joahann Philipp von
Schönborn verbot 1642 als Fürstbischof von Würzburg und 1647 als Kurfürst von Mainz
die Hexenprozesse in seinen Territorien. Königin Christine von Schweden folgte 1649. Der
Rechtsgelehrte Christian Thomasius griff 1712 Spees Argumente auf und überzeugte
Friedrich Wilhelm von Preußen, der 1714 die Einschränkung der Hexenprozesse anordnete,
sowie Friedrich II. von Preußen, der nach seinem Amtsantritt 1740 die Folter überhaupt
verbot. Die anderen Flächenstaaten folgten im Laufe des 18. Jahrhunderts. Die letzte Hexe
wurde 1782 in der Schweiz hingerichtet, also mehr als 150 Jahre nach dem Erscheinen von
Spees Analyse. In Deutschland waren ca. 500.000 unschuldige Menschen auf Grund von
Verleumdungen amtlich gefoltert und ermordet worden, 80% davon Frauen; und zwar in
evangelischen und katholischen Gebieten gleichermaßen, unabhängig von Siegen und
Niederlagen im Dreißigjährigen Krieg.
Man pflegt vom "finsteren
Mittelalter" zu reden" nicht ohne Grund, aber noch finsterer war die frühe
Neuzeit. Christliche Denker der Renaissance wie Ficino,
Pico de fa Mirandola und die Humanisten hatten Europa lichte Impulse gegeben. Diese
Impulse wurden in den Untergrund abgedrängt und konnten erst dreihundert Jahre später in
der Anerkennung von Menschenwürde und Menschenrechten beginnen, die
Verfassungsbestrebungen der Neuzeit zu inspirieren. Aber die Deutschen begriffen als
letzte, um was es geht. Und das letzte, was sie begreifen, ist der Respekt vor Religion
und Weltanschauung. Die Prägung des Volkscharakters durch die Hexenängste reicht aber
für sich alleine nicht aus, um die heutigen Ängste selbst noch vor den harmlosesten und
unschuldigsten Glaubensgemeinschaften zu erklären. Diese Ängste werden seit den
siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts durch systematische Agitation künstlich geweckt6. Zwar fällt diese Agitation in Deutschland auf
einen empfängnisbereiten Boden und hat deshalb leichtes Spiel. Aber es bleibt doch noch
erklärungsbedürftig, wie es kommt, dass die Kirchen mit dem militanten Atheismus so
harmonisch zusammenwirken können. Um das zu verstehen, bedarf es eines kurzen Blicks auf
den theologischen Hintergrund.
VII.
Der "theologische Rationalismus"
Nachdem die Deutschen aus jenem
jahrhundertlangen Alptraum erwacht waren, hatten die Schuldigen Autorität und
Glaubwürdigkeit eingebüßt, und zwar in erster Linie Kirche und Theologie. Katholische
und protestantische Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts sahen ein, wie furchtbar man
sich mit der theologischen Rechtfertigung der Hexenprozesse verrannt hatte, zogen aber
verschiedene Konsequenzen. Die gläubigen Theologen gingen den Weg der Reinigung von der
Perversion: Zwar führen dunkle Mächte den Menschen an der Nase herum, aber sie standen
hinter den Tätern, nicht den Opfern der Hexenprozesse.
Rationale Theologen gingen einen anderen
Weg. Sie suchten das Übe1 mit der Wurzel auszureißen: Es gebe überhaupt keine
gefallenen Engel, weil es außer Gott keine himmlischen Mächte gäbe. In letzter
Konsequenz hieß das: Die Jenseitsvorstellungen mit ihren lichten und dunklen Hierarchien,
mit ihren Wundern und dem auferstandenen Christus seien mythischer Natur, zwar historisch
und psychologisch erklärbar, aber wissenschaftlich unhaltbar. Theologie kann freilich
nicht konsequent rationalistisch sein: Ein bisschen Glaube musste erhalten bleiben, um die
Existenz von Kirche und Gottesdienst zu rechtfertigen. Also zumindest Gott möge es geben,
auch wenn er kein materielles Gehirn habe.
Jesu
moralische Lehren mögen unserer Gesellschaft Wertorientierung geben - wenn auch nur nach
Maßgabe der Zwei-Regimenter-Lehre, und sein Leben von Weihnachten bis Karfreitag könne
mit einigen Abstrichen auch ohne Erweis aus historischen Quellen den Predigten zu Grunde
gelegt werden. Im Übrigen wurde die christliche Lehre von mythischen Vorstellungen wie
Präexistenz, Auferstehung, Himmelfahrt, Geistentsendung usw. gereinigt. Dieser
theologische Rationalismus hat seine Entwicklungsgeschichte, seine Abstufungen und
Varianten, seine Selbstzweifel, seine Tragik - für unseren Zusammenhang kommt es nur auf
seine Quintessenz an.
Die
Theologen nahmen an: Wenn man die Pfarrer in seinem Sinne ausbilden und predigen lasse,
dann könne man der Kirche das Bildungsbürgertum erhalten. Diese Denkweise war im 20.
Jahrhundert in der evangelischen Theologie vorherrschend geworden. Aber auch an den
katholisch-theologischen Fakultäten und damit in der Priesterausbildung nahm ihr Einfluss
beträchtlich zu, vor allem seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts.
Man denke sich die aus diesem Milieu
hervorgegangenen Sekten-beauftragten in die Zeit Jesu nach Jerusalem versetzt. Sie
erhalten Kunde von der neuen christlichen Sekte mit Engelverkündigungen,
Jungfrauengeburt, Wundertaten, magischen Heilungen, Totenerweckungen, dem Anspruch der
Gottessohnschaft usw. - und dies alles mit ungenügendem Respekt vor den etablierten
Institutionen der jüdischen Tradition. Hätten sie sich nicht hinter die Römer gesteckt,
damit sie diesem esoterischen Spuk ein Ende am Kreuz bereiten, nicht ohne den Guru zuvor
gehörig ausgepeitscht zu haben? Es läuft auf einen Frontwechsel hinaus -vom Paulus zum
Saulus.
Aber nun geschah etwas Unerwartetes. Wo
immer die in diesem Geist ausgebildeten Pfarrer ihre Orientierung durchblicken ließen,
fühlten sich die Menschen, deren religiöse Veranlagung besonders ausgeprägt war, in der
Kirche nicht mehr zu Hause. Sie empfanden die Gottesdienste, Sakramente, Gebete und das
Feiern der Feste des Jahreskreises als unglaubwürdig. Die einen pflegten den alten
Glauben in innerkirchlichen Sondergemeinschaften, andere traten aus und suchten einen
religiösen Weg in fernöstlich, esoterisch oder sonstwie geprägten neuen
Glaubensgemeinschaften. Damit hatten die modernen Theologen nicht gerechnet. Sie sahen
sich um ihren endgültigen Triumph gebracht, der ihnen schon zum Greifen nahe erschienen
war. Sie waren aufs äußerste alarmiert und bliesen zum Kampf gegen ein religiöses und
spirituelles Leben, das sich ihrer Kontrolle einfach entzog. Sie können es unter dem
Grundgesetz zwar nicht verbieten lassen, aber seine Anhänger boykottieren, isolieren,
ächten. Dieser Aufgabe widmen sich seither Sektenbeauftragte mit großer rhetorischer
Kunst und Skrupellosigkeit.
VIII.
Das Bündnis mit dem militanten Atheismus
Noch etwas Unerwartetes geschah. Die
Kampforganisationen des militanten Atheismus wechselten ihre Strategie. Ihr Kampf gilt ja
eigentlich den Kirchen. Der theologische Rationalismus war davon nie ausgenommen, sondern
galt als inkonsequent, - weder theologisch, noch rational: Ein von Zwecken und Interessen
gesteuerter Kompromiss, der beide Seiten verriet. Der Atheismus versteht sich
demgegenüber als konsequent rational. Auch er bezog seine politische Schwungkraft im 19.
und 20. Jahrhundert aus der Erfahrung mit den Hexenprozessen und anderen theologisch
begründeten Greueltaten. Auch ihm geht es darum, Übel solcher Art mit der Wurzel
auszureißen. Von diesem Ansatz her war er ursprünglich eigentlich humanistisch, d. h. er
trat ein für die Würde des Menschen und die Freiheit des Andersdenkenden.
Aber
so wie sich in den Hexenprozessen eine pervertierte christliche Theologie ausleqte,
entwickelte sich im 19. Jahrhundert eine militante Variante: Ein fanatischer Eifer zur
Ausrottung der Religion an sich. Der Marxismus ist nur eine seiner Erscheinungsformen. Die
mit ihm gemachten Erfahrungen sowjetischer und chinesischer Prägung bestätigten die
Hoffnung auf Humanität durch Religionslosigkeit zwar nicht, sie wurden zunächst
geleugnet und beschönigt, dann aber auf politische Fehler zurückgeführt. Der militante
Atheismus verfolgt seine Ziele jetzt auf klügere Weise.
Seit den 70er Jahren stellen viele seiner
Anhänger den Kampf gegen die Kirchen in der Erwartung zurück, die moderne Theologie
werde die Kirchen von innen heraus aushöhlen und zum Schwinden bringen. Einstweilen
spielen sie mit den Sektenbeauftragten im Kampf gegen die neuen innerkirchlichen und
außerkirchlichen Glaubensgemeinschaften zusammen. Denn es ist ja nichts gewonnen, wenn
die Kirchen schwinden und sich trotzdem ein neues religiöses Leben entfaltet. Dieses ist
zunächst in die Kirchen zurückzutreiben, um dann zusammen mit ihnen unterzugehen.
Die Monopolstellung der Kirchen
wiederherzustellen, ist auch deshalb wichtig, weil sich sonst die eine oder andere
Kirchenleitung durch das Entstehen der neuen religiösen Gemeinschaften herausgefordert
fühlen könnte, den Vormarsch des theologischen Rationalismus zu bremsen und Sorgfalt in
der Berufung von Sekten-beauftragten und Pfarrerausbildern walten zu lassen.
Soweit es die pragmatische Klugheit erlaubt,
stützen sich heute Sektenbeauftragte und militante Atheisten aufeinander, zitieren
gegenseitig ihre Agitationsschriften, stellen einander ihre Publikationsmöglichkeiten zur
Verfügung, liefern sich gegenseitig Kampfparolen und Argumente und akzeptieren sich
gegenseitig als Vertreter ihrer Standpunkte7. Wen wundert es da,
dass sich auch die übrig gebliebenen linksextremistischen Tendenzen in dieses sonderbare
Bündnis hineinmischen? In jenem underground, der sich unter anderem im Internet tummelt,
ist z. B. die Rede von der "rechten Religionsfreiheit", als sei die
Religionsfreiheit nicht ein allgemeines Grund- und Menschenrecht, sondern eine fixe Idee
der politischen Rechten.
Die
so genannte "Aktion für geistige und psychische Freiheit" eines Rechtsanwalts,
den es in die Eifel verschlagen hat, distanziert sich von alternativen Linken",
die für Grundrechte eintreten. "Schließlich waren es ja alternative Linke, die
Solschenizyn und Co. hofierten." So heißt es dort in dem lobenden Artikel über eine
Kampfschrift, die die Religionsunterdrückung in China und die Okkupation Tibets
befürwortet und den Deutschen als rühmliches Beispiel vor Augen stellt. Ein Foto zeigt
den Dalai Lama neben dem Aum-Chef Asahara. Es entstand zwar lange vor dessen Entwicklung
zum Terroristen, soll aber den Eindruck erwecken, auch vom Dalai Lama seien
Giftgas-Anschläge in U-Bahnen zu befürchten. Man findet hier alle die für das
extremistische Milieu typischen Agitationsmethoden. Darauf berufen sich dann kirchliche
Sektenbeauftragte zustimmend vor Gericht.
"Geistige und psychische Freiheit"
bedeutet hier: Befreiung von Religion, Mystik und Spiritualität, und zwar, zunächst von
einem religiösen Leben in illegitimen" Gemeinschaften. Dem steht eigentlich
das Recht entgegen, freiwillig in eine religiöse Gemeinschaft einzutreten, in ihr zu
bleiben, solange man will, und sie erst zu verlassen, wenn man selbst es will, ganz
unabhängig von der Meinung, die skrupellose Sektenbeauftragte, militante Atheisten und
Linksextremisten miteinander verbindet. Dieses Recht lässt sich zwar aus den deutschen
und europäischen Normkatalogen nicht mehr so leicht eliminieren. Aber man kann es erstens
mit allerlei Winkelzügen umgehen, aushöhlen und missachten. Zweitens kann man den
Volkszorn gegen Bürger lenken, die von ihm Gebrauch machen, sie boykottieren und ächten.
IX.
Schluss
Es
geht also darum, dass die Grundrechte des Diskriminierungsverbots, des
Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde nicht nur normativ gelten, sondern praktisch
wirksam werden, und zwar ausnahmslos, d. h. auch im Bereich der Religions- und
Weltanschauungsfreiheit. Was dem entgegensteht, sind nicht in erster Linie Mängel im
Normensystem, sondern Blockaden im öffentlichen Bewusstsein und im moralischen Willen.
Diese Blockaden sind historisch, theologiegeschichtlich und psychologisch erklärbar. Eine
vordringliche Aufgabe der politischen Aufklärung in Deutschland ist, ihre Bedingtheit,
ihre Dummheit, ihre Unverantwortlichkeit durchsichtig zu machen, damit sie sich
allmählich auflösen können.
Wie weit diese Besinnung gelingt,
wird sich erstens daran ablesen lassen, ob die neuen europäischen Richtlinien zur
Überwindung der Diskriminierung auch im Bereich von Religion und Weltanschauung vom
deutschen Gesetzgeber umgesetzt werden. Dazu ist zunächst erforderlich, die speziellen
deutschen Widerstände und Hinhaltetaktiken zu beobachten und zu enttarnen.
Die
Besinnung wird sich zweitens in einem politischen Klima zeigen, in dem das BVerfG die einschlägigen Verfassungsbeschwerden
Von all dem hängt ab,
dass wir Deutschen nicht wiederum den Anschluss an die Weltzivilisation verlieren. Denn
wenn die Zeichen der Zeit nicht trügen, sind Nichtdiskriminierung und Achtung vor der
Menschenwürde im Begriff, zum politischen Hauptthema des 21. Jahrhunderts zu werden.
* Der Autor ist emeritierter Professor für öffentliches Recht und Mitherausgeber der Zeitschrift für Rechtspolitik.
1 Eingehend: Kriele, ZRP 1998, 231 und 349; Besier/Scheuch, Die neuen Inquistioren, ed. Interfrom Nrn. 277 und 278, 1999; Mynarek, Die neue Inquistion, 1999.
2 Enquétekommission So genannte Sekten und Psychogruppen des Deutschen Bundestags, Neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen, Forschungsprojekte und Gutachten, Hoheneck-Verlag, Hamm, 1999.
3 Hierzu Baer, NJW 2001, 2672; Baer, ZRP 2001, 500, in diesem Heft
4 S.vor allem Behringer, Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, 5. Aufl. (2001) m.w.Nachw.
5 Eine neue deutsche Ausgabe bei dtv, 6. Aufl. (2000).
6 Jüngstes Beispiel: Nach Peter Wensierski im Spiegel vom 8.10.2001, S. 169 gehen von neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen folgende Bedrohungen aus: Folter, Vergewalti-gung, psychischer Terror, Verlust der Kinder, Freiheitsberaubung, Nötigung, Betrug, Urkundenfälschung, Wucher, Körperverletzung, Misshandlung und sexueller Missbrauch von Kindern. Deutschen Gerichten und Ermittlungsbehörden ist das nicht bekannt. Die so genannte Evangelische Weltanschauungszentrale, auf die er sich beruft, hatte solche Feststellungen von der Enquétekommission erhofft; diese kam jedoch zum gegenteiligen Ergebnis.
7 Ein Beispiel: Als die Thomas-Dehler-Stiftung Fürth ein Wochenendseminar zum Thema der religiösen Diskriminierung vorbereitete, sagten die dazu eingeladenen kirchlichen Sektenbeauftragten ihre Teilnahme ab, liefen aber gleichzeitig Sturm dagegen, dass die nun unausgewogene Tagung dennoch stattfinden sollte. Sie gaben sich erst zufrieden, als die gleichgewichtige Repräsentanz des kirchlichen Standpunkts gesichert war: Durch Vorträge von vier Aktivisten des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten bzw. des Humanistischen Verbandes.
Erstmals erschienen in der Zeitschrift für Rechtspolitik - 11 - November 2001, 34. Jahrgang
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