Wird die katholische Kirche zur Sekte?
Leonardo Boff*
"Der Standard" vom 12.09.2007 Seite: 38
Ressort: KDA
Benedikt
XVI. richtet gegenwärtig die katholische Kirche auf einen gefährlichen Kurs aus.
Schon als Kardinal hat Benedikt fortschrittliche Gruppen und Theologen der
Befreiung mit Schlägen traktiert, während er konservative und
traditionalistische Kräfte und die Anhänger des1988 exkommunizierten Bischofs
Lefebvre mit Seidenhandschuhen behandelte. Schließlich akzeptierte der Vatikan
die im traditionalistischen Ritus gehaltenen Seminare des abtrünnigen Bischofs
und erst kürzlich nahm der Papst sogar eine der zentralen Forderungen dieser
Kreise an, nämlich die Wiederaufnahme der lateinischen Messe des Trientiner
Konzils (1545-1563) - mit allen Kommunikations-Einschränkungen einer toten
Sprache, die nur Eingeweihten zugänglich ist. Das Ärgste geschah gleich darauf
mit der Veröffentlichung einer vom Papst genehmigten Schrift der Kongregation
für die Doktrin des Glaubens zu fünf Grundsatzfragen der Kirche, wo festgehalten
wird, dass die einzige Kirche Christus' die Katholische Kirche sei, außerhalb
der es keine Erlösung gäbe.
Solche Haltungen schüren Enttäuschung und Bitterkeit, jedenfalls schaffen sie
eine Atmosphäre, die der Friedenssuche nicht förderlich ist.
So tauchen in der katholischen Kirche immer mehr Aspekte einer großen Sekte auf.
Es wäre wichtig, sich zu erinnern, dass das Christentum in seinen Anfängen
selbst als Sekte bezeichnet wurde, da es sich um eine Gruppe von Dissidenten des
Judentums handelte, die Jesus Christus folgte. So gesehen war "Sekte" ein
neutrale Begriff zur Bezeichnung einer Gruppe, die sich von der Mehrheit
unterschied. Erst als später Konflikte unter den Glaubensbekenntnissen
ausbrachen, bekam der Begriff Sekte eine negative Bedeutung, wie in den Briefen
von Paulus an die Korinther, Römer und Galater zu lesen ist. Dort ist von
"schädlichen Sekten" die Rede, die sich verschließen und alle anderen
ausschließen.
Das ist das Risiko, das die Katholische Kirche gegenwärtig in ihrer zunehmenden
Isolierung eingeht. Ihre wichtigste soziale Basis findet sie in jenen
laizistischen Bewegungen, die sich durch einen Mangel an Bewusstsein auszeichnen
und dem Obrigkeitsdenken ergeben sind.
In ihrem Gehorsam gegenüber der Logik des Marktes ziehen sie es vor, große, von
Medien getragene Spektakel zu besuchen, statt sich Herausforderungen wie Armut
und Ungerechtigkeit und den Bedrohungen der Biosphäre zu stellen.
Ein Zeichen für Sektierertum ist es, wenn man die Universelle
Menschenrechtsdeklaration von 1948 nicht unterschreibt, weil Gott nicht erwähnt
wird; wenn man sich weigert, sich am Weltkirchenrat zu beteiligen, weil man sich
einbildet, über alle anderen Kirchen zu stehen und in der Folge auch den Aufruf
zu einem universellen christlichen Konzil für den Weltfrieden zurückweist; und
wenn zum Beispiel vom Kauf von Unicef-Postkarten zugunsten von Not leidenden
Kindern abgeraten wird, weil die betreffende internationale Organisation die
Anwendung von Präservativen empfiehlt.
Die Doktrin und die Strategie Benedikts XVI. stehen im
direkten Gegensatz zur Modernisierung indem sie in einem Kulturpessimismus
verharren. Das ist eine nicht akzeptierbare Haltung für jemanden, der eigentlich
wissen sollte, dass der Heilige Geist in der Menschheit ist, daher kein Monopol
der Kirche darstellt und dass die Erlösung allen angeboten ist. Jedenfalls
stellt sich die Kirche als eine "Gegen-Welt" dar - was nach Gelehrtenauffassung
als typisch sektiererisch gilt.
Es würde mich nicht wundern, wenn einige radikalere Konservative die Haltung des
Papstes als Aufforderung auffassten, eine Kirchenspaltung voranzutreiben. Im
Frühchristentum lehrten fast alle Bischöfe die Irrlehre, dass Christus Gott kaum
ähnlich wäre. Es waren damals die Laien, die die Kirche retteten, indem sie
Jesus als Sohn Gottes proklamierten.
Es wäre dringend notwendig sich dieser Geschichte zu erinnern, angesichts der
geistigen Beschränktheit und der theologischen Leere, die
in den hohen Sphären des Vatikans herrschen
*Leonardo Boff (67), prominenteste Stimme der Theologie der Befreiung,
Umweltschützer und Schriftsteller, lehrt Ethik an der Universität von Rio de
Janeiro. © IPS
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