Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 109/2006 vom 09. November 2006
Zum Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 2 BvR 1908/03 –
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde der
deutschen
Vereinigungskirche gegen
Einreiseverbot für Ehepaar Mun
Herr Mun ist Gründer der
weltweit vertretenen Vereinigungskirche, deren Anhänger in Deutschland in dem
beschwerdeführenden Verein organisiert sind. Das Ehepaar Mun beabsichtigte Ende
1995, im Rahmen einer Welttour nach Deutschland einzureisen. Das Besuchsprogramm
sah vor, dass Herr Mun bei einer Veranstaltung eines dem Beschwerdeführer nahe
stehenden Vereins einen Vortrag mit dem Titel „Die wahre Familie und ich“ halten
sollte; außerdem wollte das Ehepaar Mun Gespräche mit seinen Anhängern führen.
Um dies zu verhindern, schrieb die Grenzschutzdirektion Koblenz auf Bitte des
Bundesinnenministeriums die Eheleute Mun für die Dauer von drei Jahren zur
Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem aus. Die Ausschreibung
wurde fortlaufend, zuletzt im Jahr 2004, verlängert. Die auf Feststellung der
Rechtswidrigkeit der Ausschreibung gerichtete Klage des Beschwerdeführers blieb
vor den Verwaltungsgerichten ohne Erfolg.
Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob das
klageabweisende Urteil des Oberverwaltungsgerichts auf, da es auf einem
unzutreffenden Verständnis des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
(Religionsfreiheit und Recht auf freie Religionsausübung) beruhe. Die Sache
wurde an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Das
Oberverwaltungsgericht hat die Klage des Beschwerdeführers abgewiesen, weil der
geplante Besuch der Eheleute Mun keine besondere Bedeutung für die
gemeinschaftliche Religionsausübung und keinen spezifisch religiösen Gehalt für
die Mitglieder des Beschwerdeführers habe.
Damit hat das Gericht seiner Entscheidung eine Gewichtung genuin religiöser
Belange aus dem Binnenbereich des Beschwerdeführers zugrunde gelegt, die
staatlichen Stellen verwehrt ist. Für die Beantwortung der Frage, welche
Bedeutung der persönlichen Begegnung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft
mit ihrem Gründer oder geistlichen Oberhaupt zukommt, kann nur das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft
maßgebend sein.
Insoweit sind durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Kernfragen der Pflege und
Förderung des Glaubens und Bekenntnisses angesprochen, die der Beurteilung durch
staatliche Stellen grundsätzlich entzogen sind. Das Besuchsvorhaben der Eheleute
Mun diente – jedenfalls auch – dem Kontakt der Gläubigen mit dem
Religionsstifter, dem nach dem Selbstverständnis der Vereinigungskirche
religiöse Bedeutung zukommt. Angesichts der zentralen Stellung des
Religionsstifters für jede auf eine solche Person ausgerichtete Religion hätte
es besonderer Hinweise bedurft, um eine davon abweichende Einschätzung zu
rechtfertigen.
Allerdings kann unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG weder für den
Einreisewilligen noch für die an seiner Einreise interessierte
Religions-gemeinschaft ein Anspruch auf Einreise abgeleitet werden. Es ist aber
geboten, bei der Auslegung der Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt
von Ausländern das Eigenverständnis der Religionsgemeinschaft so weit wie
möglich zu berücksichtigen.
Bei der Abwägung zwischen den mit der Ausschreibung im Schengener
Informationssystem verfolgten Belangen und den Interessen des Beschwerdeführers
ist zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen des Schengener
Durchführungsübereinkommens insoweit gebunden hat, als die für alle
Schengen-Staaten grundsätzlich verbindliche Ausschreibung zur
Einreiseverweigerung das Vorliegen von Gefahren für die öffentliche Sicherheit
und Ordnung oder die nationale Sicherheit voraussetzt. Es liegt nicht auf der
Hand, dass Besuchsaufenthalte der Eheleute Mun Gefahren mit sich bringen, die
auch bei der Einbeziehung der Interessen des Beschwerdeführers die Anordnung und
Aufrechterhaltung der Ausschreibung der Eheleute Mun zur Einreiseverweigerung
gerechtfertigt erscheinen lassen.
Soweit das Bundesministerium des Innern das öffentliche Interesse an der
Einreiseverweigerung aus Widersprüchen zwischen den Glaubensinhalten des
Beschwerdeführers und den Wertentscheidungen des Grundgesetzes herleitet, ist
darauf hinzuweisen, dass die Religionsgemeinschaften hinsichtlich der von ihnen
vertretenen Glaubensinhalte und sonstiger rein interner Angelegenheiten
grundsätzlich nicht den für das Verhalten des Staates maßgeblichen
Wertvorstellungen des Grundgesetzes verpflichtet sind und außerhalb dieses
Bereichs der Wechselwirkung von Religionsfreiheit und Schrankenzweck durch
entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen ist.