Das Tabu des geknickten Feindbilds
Spannungen zwischen den Religionen haben sich
in Tirol nach
Mohammed-Karikaturen und Minarett-Streit verschärft
Von NINA WERLBERGER
Der Karikaturen-Streit löst
auch in Tirol heftige Emotionen aus.
Die TT sprach mit Christen und Muslimen am runden Tisch über Tabus, Feindbilder
und Ängste.
INNSBRUCK. "Sie verstehen es nicht", sagt
Dumus Gamsiz leise. Der junge Mann wählt die Worte sorgfältig, hält oft inne.
"Glaube ist für Muslime etwas Intimes. Wenn das jemand lächerlich macht, ist es,
als würde derjenige den eigenen Partner öffentlich demütigen", erklärt er.
Gamsiz engagiert sich für das "Friede-Institut für Dialog". Mit der Eskalation
um die Mohammed-Karikaturen sei auch in Tirol viel Porzellan zerschlagen,
Dialog-Arbeit vernichtet worden, sagt er.
Was die jüngsten Geschehnisse für das Zusammenleben von Moslems und Christen in
Tirol heißt, hat die TT mit ihm sowie Mitgliedern der Christlich-Muslimischen
Dialoggruppe bei einem runden Tisch diskutiert.
Feindbild Nr. 1
"Moslems sind das Feindbild Nummer eins in Westösterreich", sagt Patrick Nenning.
Der junge Religionslehrer macht Workshops mit Schülern, erzählt ihnen von den
jeweils anderen. Nenning spricht von der Ablehnung, die Muslimen in Tirol
entgegenschlage – von Ursache und Wirkung. "Dass der Selbstwert dann angeknackst
ist, ist klar. Man kann verstehen, dass diese Menschen übersensibel reagieren."
Nenning meint, das Problem, das viele Tiroler mit ihren andersgläubigen
Mitbürgern hätten, sei eines der Wahrnehmung.
"Wenn mir etwa ein kleines Mädchen sagt, es hätte Angst vor dem Gebetsturm,
zeigt das die Problematik." Kritisch werde es, wenn religiöse Symbole zu
Machtsymbolen würden. "Da werden Bilder im Kopf zu Unrecht verknüpft. Eine
Moschee loder ein Kopftuch haben nichts mit Terroranschlägen zu tun", erklärt
Nenning. "Aber schon überhaupt nichts."
"Ein Mangel an Identität", das ist für Josef "Jussuf" Windischer das
Grundproblem, das viele Christen mit ihrem muslimischen Gegenüber hätten.
"Dieses Urtirolerische, was ist denn das heute schon? Wenn man sich mit seiner
eigenen Identität nicht auskennt, bekommt man natürlich Angst, wenn jemand eine
Überzeugung hat. Fehlende Identität zieht einem den Boden unter den Füßen weg",
meint Windischer. Das Dialog-Mitglied ist im Land ein alter Hase in Sachen
Integration, engagiert sich seit Jahrzehnten unter anderem für Stadtcaritas und
Integrationshaus. "Daher der Künstlername", schmunzelt er. Verständigung habe
nichts mit Einheitsbrei zu tun, erklärt Windischer. "Wir stehen hier ganz am
Anfang. Ich erlebe eine sehr fremdenfeindliche Gesellschaft in Tirol."
Viele Tabus würden einfach nicht wahrgenommen, weiß auch Yeliz Dagdevir. Die
quirlige Endzwanzigerin ist Vorsitzende der Dialoggruppe und will
Sympathie-Trägerin sein, mit ihrer Person für ein besseres Klima werben. Sie
spricht über die Unterschiede, die Besonderheiten ihrer Religion. "Es ist eben
so, dass Abbildungen von Gott im Islam nicht üblich sind. Sie kränken die
Menschen, Gott ist wie Familie." Jegliche Art von Witzen, selbst über
christliche Heilige und Symbole, kämen schlecht an.
Kein Leben des Brian
" Viele Muslime finden daher auch den Film von Monty Python ganz schrecklich,
weil darin Jesus lächerlich gemacht wird", sagt Dagdevir. "Auch er ist ein
Prophet." Wo also selbst gläubige Katholiken schallend über Bergpredigt und
Steinigungspraktiken lachen könnten, würden sich Moslems tief gekränkt fühlen.
"Für uns ist es eine Frage der Respektlosigkeit vor dem Glauben," wirft Gamsiz
ein.
"Hier sind wir beim Thema Meinungs- und Pressefreiheit. Die Grenze ist für mich
dort erreicht, wo Menschen in ihrer Intimsphäre verletzt werden", meint er." Und
es hört sich ganz bestimmt dort auf, wo Menschen verachtet und lächerlich
gemacht werden", glaubt Windischer. "Wir wissen doch genau, wo es anfängt. Mit
Tabu-Brüchen, mit Begriffen wie Kümmeltürk und Saujud – und wir wissen aus
unserer Geschichte, wie es endet."
"Gleichwertig"
"Das Ziel muss es sein, dass wir uns als gleichwertige Tirolerinnen und Tiroler
mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund begegnen", sagt Dagdevir. Eine
Botschaft, die sie gemeinsam mit Jussuf Windischer und Oscar Thomas Olalde vom
Haus der Begegnung Ende der Vorwoche zu einer Friedensdemonstration motiviert
hat. "Als Zeichen gegen die Gewalt und für Dialog."
Dieser Artikel erschien in der TT Nr. 36 vom 13. Feber 2006