Aus der Mitte des Herzens  
Kommentar von Heinrich Kofler (kath. Theologe)


Kardinal Schönborn spricht zu gegebenen Anlässen immer wieder davon, dass wir als Christen aufeinander zugehen und niemand aus rassischen, nationalen, religiösen oder sonstigen Gründen ausgrenzen sollen.
Wie verhalten wir uns in der Praxis?


Das Pastoralamt der Diözese Linz hat in Zusammenarbeit mit dem Familienreferat der Oberösterreichischen Landesregierung eine CD herausgebracht, die eine Orientierungshilfe über Sinnanbieter geben soll. Sie trägt den Titel: „Auf der Suche nach dem Sinn“. Im Klartext heißt das: Es geht um neue und etwas in die Jahre gekommene religiöse und andere Gruppen, die ihrerseits nach Sinn fragen und anderen ihre Überlegungen mitteilen und nahe bringen.

Hier arbeiten zwei Institutionen, die etabliert sind und Macht haben, gegen einen vermeintlichen „Feind“ zusammen, der sich in derartigen Gruppen versteckt hält. Tatsächlich haben sich in den letzten Jahrzehnten Vorkommnisse ereignet, die für die direkt und indirekt Betroffenen nicht gerade schmeichelhaft waren und sind. Je kleiner die Gruppe ist, in der sie passieren, umso eher sind wir als Außenstehende geneigt, dieses Fehlverhalten als systemimmanent anzuprangern. Einer alt eingesessenen „Firma“ passiert das nicht so leicht. Wer würde schon auf die Idee kommen, die katholische Kirche als eine Sekte zu bezeichnen, in der klerikale Pädophilie eine kultische Handlung ist? 

Also es passieren bei uns und anderswo Fehler. Die menschlichen Probleme sind Legion. Könnte es nicht sein, dass die eine oder andere Gruppe, vielleicht sogar alle zur Problemlösung etwas beizutragen hätten? Wenn wir aus der Mitte des Herzens heraus aufeinander hören, wird jeder im Anderen einen Schatz entdecken. Nächstenliebe muss sich von der individuellen Ebene auf die gesellschaftliche und religiöse Ebene ausdehnen: Du sollst die Religion deines Nächsten lieben wie deine eigene. Mit großer Dankbarkeit erinnere ich mich an meinen Dogmatikprofessor, der uns Studenten vor vier Jahrzehnten mit großem Einfühlungsvermögen und tiefem Respekt die Schätze anderer Religionen nahe gebracht hat.

Doch die direkte Zusammenarbeit mit Angehörigen solcher Gruppierungen und Sekten wurde in diesem Fall und auch sonst nicht ins Auge gefasst, wiewohl der Auftrag Jesu nach wie vor lautet: Vater gib, dass alle eins sind, so wie du und ich eins sind. Nun war und ist eine derartige Einheit auf rationaler Eben kaum zu erreichen. Da wird es immer welche geben, die vorne weg, hinten dran oder überhaupt out sind. Doch auf der Ebene des Herzens spielen rassische, altersbedingte, bildungsmäßige konfessionelle oder religiöse Unterschiede keine Rolle. Sollten es jedenfalls nicht.

Um aber ja nicht den Anschein zu erwecken, dass sich hier etwa der Staat in Religion einmischt (und er hat wirklich nicht zu befinden, was Religion und was nicht), geht es nur um „Standortbestimmung und Risikoeinschätzung“. Also: Religion darfst du betreiben, doch andere Auswirkungen als wir zulassen, darf deine Religion und deine Weltanschauung nicht haben. Auch die Anschauungen und Worte Jesu waren für die Pharisäer gefährlich, weil sie die Machtstrukturen zu verändern schienen. Es könnte ihm doch am Ende das ganze Volk nachlaufen. Das war damals und ist auch heute der springende Punkt: Es laufen uns die Leute davon, wir haben keine Macht und Kontrolle mehr über sie. Wir können sie nicht mehr „beschützen“.

Bereits im ersten Kapitel der CD, wo Frau Kögler die Frage aufwirft, ob Sinn in sei, kommt sie auf einen Herrn Bruce Pollok zu sprechen, der ein Buch über Sehnsüchte und Ideen von Jugendlichen herausgebracht hat. In ihrer Beurteilung kommt sie zu dem Schluss: „Auf die Idee, dass das was er sieht, nicht das ist, was es bedeuten muss, kommt er nicht.“ Auch im Hinblick auf die Beurteilung neuer religiöser Gruppierungen durch mich oder Frau Kögler hat dieser Satz Gültigkeit.

Es wird im Verlauf der Darstellung auch die Aggressivität als ein gemeinsames negatives Merkmal herausgestrichen. Doch Aggressivität ist nicht identisch mit Überzeugungskraft und Überzeugtheit. Jemand, der seine Überzeugung voll und ganz zum Ausdruck bringt, ist nicht notgedrungen aggressiv, wenn es für labile Menschen auch den Anschein haben mag. Wenn jemand par tout behauptet, dass 2 und 2 vier ist, mag dies im Kreis von mathematischen Ignoranten aggressiv klingen.

Es ist mir nicht möglich, festzustellen, ob alle Informationen, die hier geboten werden, auch aktuell und richtig sind. Doch bei dem einen oder anderen Punkt, wo ich selbst gute Informationen habe, fällt mir auf, dass hier absichtlich oder unabsichtlich, jedenfalls tendenziös und falsch informiert wird. Dadurch entsteht bei mir Unsicherheit: Was stimmt hier und was nicht?

Und noch eines ist dabei verwunderlich: Dass in der Darstellung all dieser Gruppen, denen zwar freundlich aber doch der Kampf angesagt wird, kein Angehöriger dieser Bewegungen zu Wort kommt. Am ehesten gelten ehemalige Mitglieder, Apostaten, als unverfängliche Zeugen. Um mir ein Bild darüber zu machen, was ein Katholik glaubt, werde ich mich auch nicht bei einem Zeugen Jehovas informieren. Da kann noch so schön psychologisierend und therapierend herumgeredet werden, es ist und bleibt ein Affront gegen jene, die sich ihrer religiösen Anschauung verpflichtet wissen und sich alle Mühe geben, diese auch in die alltägliche Praxis umzusetzen. 

Größe zeigt sich nicht in der Kunst subtilen Diffamierens und Herabwürdigens jener, die eine Meinung vertreten, die von der herrschenden Klasse abweicht, sondern erweist sich in Handlungen, die geeignet sind, ein Leben miteinander und füreinander zu initiieren, einzuüben und zu festigen. Ich bin ja nicht dadurch gut, dass ich dem anderen vor Augen halte wie schlecht er ist. Daher sind Publikationen wie diese bestens geeignet, in der Bevölkerung Argwohn und Ablehnung gegen jene zu schüren, die zu derartigen Gruppen gehören.

Daher schlage ich vor, eine Enquete zu veranstalten, bei der immer Vertreter der diskutierten Gruppen auf dem Podium sitzen bzw. jedenfalls dorthin eingeladen werden. Damit auch der Veranstalter interreligiös ist, sollte je ein Vertreter der Katholischen Kirche (größte christliche Gemeinschaft in Österreich), des Islam (größte nichtchristliche Gruppe) und jemand aus einer neuen religiösen Bewegung diese Funktion wahrnehmen.

Vielleicht wäre das ein Anfang eines interreligiösen Dialoges auf der Ebene des Herzens (nicht der Gefühle und der Psychoanalyse).

Heinrich Kofler


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