Liebe Leser,
Am Dienstag (23.3.2004)
erschien in der Kronenzeitung ein skandalöser Artikel, basierend auf einer neuen
"Studie" von Rollett & Felinger ("Gesellschaft gegen Sekten- und
Kultgefahren" -
GSK von F. Griess). Das Werk wurde
"Sekten- und Kultgefährdung bei Kindern und Jugendlichen in Niederösterreich"
benannt. Bei näherem Betrachten stellt sich heraus, dass diese sogenannte
Studie noch skandalöser ist als der besagte Artikel (FOREF
durfte nur in Kurzfassung der Studie Einsicht nehmen). Sie wurde im Auftrag der OÖ
-Landesregierung gemacht und dient jetzt offensichtlich als Rechtfertigung für
eine neue "Anti-Sektenoffensive".
Bis dato haben alle Bemühungen um ein
vernünftiges Gespräch mit den für den
Skandalartikel verantwortlichen Redakteuren fehlgeschlagen. Deshalb fühlen wir
uns gezwungen, wiederum das Internet als bewährtes Medium der Minderheiten für
unsere Stellungnahme in Anspruch zu nehmen.
Hier ist der Artikel und unsere Stellungnahme dazu:
"Neue Kronen-Zeitung" vom 23.03.2004 Seite: 14
Jeder zweite
Jugendliche wurde schon von einer Sekte geködert
Rund 600 religiöse Gruppen in Österreich Gefahr für Schüler
VON MICHAEL POMMER
Gespräche auf der Straße, Internet, Broschüren - jeder zweite Jugendliche in Österreich wurde schon einmal von einer Sekte geködert. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie über religiöse Gruppierungen. Experten warnen: Vor allem Schüler sind schnell in der Maschinerie der gefährlichen Glaubensbünde gefangen.
Rund 600 Sekten gibt es in Österreich. Von der kleinen Glaubensgruppe bis zur perfekt organisierten Riesen-Organisation mit Zigtausenden Mitgliedern weltweit. Um Nachwuchs zu "rekrutieren", schwärmen ihre Werber Tag für Tag zu Dutzenden aus, um Jugendliche auf der Straße anzusprechen und ihnen Propagandamaterial in die Hände zu drücken. "Wie gefährlich das tatsächlich ist, hat jetzt eine neue Studie bewiesen", berichtet Peter Pitzinger vom Sektenreferat der Landesregierung Niederösterreich.
Demnach interessieren sich ein Drittel aller
Jugendliche für Sekten oder Okkultismus, acht Prozent sind akut sektengefährdet.
Die größten Gefahren: Satanismus: "Viele Jugendliche
treffen sich regelmäßig zu schwarzen Messen. Dabei entfachen sie ein Lagerfeuer,
opfern manchmal sogar lebende Katzen und beten den Teufel an", sagt Pitzinger
weiter.
Yoga-Sekte: Vor allem Kleinkinder werden von der "Gemeinschaft" - die "Krone"
berichtete - in Sekten-Camps nach Indien geschickt. Oftmals wird nach
monatelanger Gehirnwäsche der Kontakt zu den eigenen Eltern von den Schulleitern
verboten.
Groß-Sekten: Organisationen, die mit einem Heer
an Mitgliedern und einem Guru an der Spitze Gesundheit versprechen, ihre
Gläubigen aber nur ausbeuten.
Betreff: Kronenzeitung -Artikel, (23.3.2004) Seite 14: "Jeder zweite Jugendliche wurde schon von einer Sekte geködert" von Michael Pommer
1. Der Titel
"Jeder zweite Jugendliche wurde schon von
einer Sekte geködert"
Hier nimmt Pommer Bezug auf die Studie
"Sekten- und Kultgefährdung bei Kindern und Jugendlichen in Niederösterreich"
Univ. Prof. Dr. Brigitte Rollett und Mag. Felinger von GSK. Von einer
objektiven, empirischen Studie kann hier gar nicht die Rede sein,
wenn man bedenkt
welche Personen damit beauftragt wurden:
Rollett ist längst als Guru der Wiener
Sektenjäger bekannt. Mag. Felinger agiert als
Schatten von
Friedrich Griess, dem eigentlichen Leiter der GSK.
(Griess ist auch Vize-Präsident der Europäischen Anti-Kult Dachorganisation
F.E.C.R.I.S.).
In den 90er Jahren leitete
German Müller
die GSK. 1998 avancierte er zum Leiter der Bundessektenstelle. Bartenstein
wählte Müller damals von 13 Kandidaten aus. Als Grund für seine Wahl gab
Bartenstein Müllers 10-jährige Erfahrung als Sektenjäger an.
Wer da noch an Unabhängigkeit oder Objektivität
glaubt, ist nicht nur naiv, sondern versteht nicht, was die Auftraggeber mit
dieser Studie wirklich bezwecken wollen.
Die Ergebnisse der Studie waren
mit der tendenziösen Fragestellung mehr oder weniger vorprogrammiert.
Dadurch soll die Bekämpfung religiöser Minderheiten
eine wissenschaftliche Aura bekommen. Mit anderen Worten: Es soll eine
pseudoempirische Rechtfertigung für die Verletzung unserer Grundrechte geliefert
werden. Und wer zahlt dafür? Natürlich die Steuerzahler!
2. Der Untertitel
Steven King lässt grüßen. Das ist Angstmache bis
zur äußersten Schmerzgrenze. Pommer und die Kronenzeitung wollen den LeserInnen
hier weismachen, dass nicht nur Satanisten oder eine schräge Yoga Gruppe gefährlich für unsere
Kinder sein könnten. Nein! Gleich sämtliche 600 in Österreich existierende
Glaubensgemeinschaften stellen ihrer Meinung nach eine Gefahr für unsere Schüler
dar.
Wenn sich eine religiöse Gruppe etwas zu Schulden kommen lässt, soll sie sich
natürlich vor dem Gesetz zu verantworten haben. Hier in Österreich gibt es
jedenfalls laut Bundespolizeidirektion seit vielen Jahren keine ernstzunehmenden
Gesetzesverstöße seitens religiöser Minderheiten. Trotz dieser Tatsache
existieren hierzulande nicht weniger als 35 (!) Sektenstellen. Die
Bundessektenstelle hat sogar 6 Angestellte. Die Erzdiözese Wien stellt
mindestens drei Personen an. Proportional zur Bevölkerungsdichte dürfte unsere
Alpenrepublik weltweit am besten mit Glaubenswächtern ausgestattet sein.
In den letzten Jahren ist unser Land deswegen immer mehr ins Kreuzfeuer
internationaler Kritik gerückt. Willy Fautre, der Direktor von "Menschenrechte
ohne Grenzen" (Human Rights without Frontiers - HRWF) sagt, dass Österreich
zusammen mit Frankreich und Belgien am untersten Ende der Skala rangiert, wenn
es um die Religionsfreiheit geht.
3. Der Sektenbegriff
Pommer wendet hier den
Sektenbegriff auf
alle in Österreich staatlich nicht anerkannte religiöse Minderheiten an
(ungefähr 600). Das ist insofern problematisch, da der Begriff "Sekte" in den
letzten 30 Jahren von den Amtskirchen (und leider auch Medien) als
apologetischer Kampfbegriff hochstilisiert wurde. In den vergangenen Jahren
wurde wiederholt zur Stigmatisierung der
unliebsamen kleineren Religionsgemeinschaften und deren Mitglieder der
"Sektenhammer"
verwendet.
Im besagten Artikel geht Herr Pommer leider sehr
leichtfertig mit diesem neo-inquisitorischen Kampfbegriff um. Vom reißerischen
Stil seines relativ kurzen Artikels abgesehen, verwendet er den
diskriminierenden Sektenbegriff mindestens achtmal.
Die deutsche Bundesregierung hat nach einer
zweijährigen Enquete Entwarnung gegeben und ist zu dem
Schluss gekommen, dass religiöse
Minderheiten nicht wirklich gefährlich für unsere Gesellschaft sind. Aufgrund
der Enquete wurde
auch ein Appell an die Öffentlichkeit gerichtet, den abwertenden und
diskriminierenden Sektenbegriff nicht mehr pauschal auf die kleinen
Religionsgruppen anzuwenden. Pitzinger (Sektenbeauftragter - NÖ) verwendet den
Begriff "religiöse Sondergruppen" statt "Sekten". Wir bevorzugen die
Bezeichnung "religiöse Minderheiten".
4. Zitat:
"Vor allem Schüler
sind schnell in der Maschinerie der gefährlichen Glaubensbünde gefangen."
Ist das Pommers eigene Annahme oder
die Behauptung eines Sektenexperten? Wie Herr Pommer mir heute Früh telefonisch
bestätigt hat, bezieht er sich damit auf die Studie von Rollett & Felinger. In
dieser Studie gibt es (mit Ausnahme der Satanistenszene) für die Richtigkeit
dieser Behauptung jedenfalls keine schlagkräftigen Beweise.
Dr. Peter Schulte
(Leiter von Kult&Co, Landessektenstelle Tirol) erklärt den Sachverhalt
folgendermaßen: Erwachsene sind generell "anfälliger",
sich zu einer alternativen Religion oder
Lebensanschauung zu bekehren. Außerdem sind es meistens Menschen mit einem
höheren Bildungsniveau.
5. Zur journalistischen Sorgfalt:
Pommers Artikel:
"Wie gefährlich das tatsächlich ist, hat jetzt eine
neue Studie bewiesen",
berichtet Peter Pitzinger vom Sektenreferat der Landesregierung
Niederösterreich.
Mag. Pitzinger dementiert in seiner heutigen Mail: "Die zitierte
Diktion stammt nicht von mir, wie schon am Telefon gestern betont."
Nach dem Skandal der hetzerischen Linzer
"Sekten CD-ROM", in der 350 Gruppen attackiert wurden und die das
Familienreferat massenhaft in den Schulen verteilte (Bericht
auf www.religionsfreiheit.at),
zirkulieren immer noch 42 Antisekten-Filme in unseren Schulen. Betroffene Kinder
werden oft von Mitschülern gehänselt und stigmatisiert, ohne sich dagegen wehren
zu können. Leider ist zu befürchten, dass auch dieser Artikel wenig zur
Entemotionalisierung dieser Thematik beiträgt. Eher wird damit neues Öl ins
Feuer gegossen.
6. Zu Punkt 4 des
Ehrenkodex der österreichischen
Presse:
Die Freiheit in der Berichterstattung und
Kommentar ist integrierender Bestandteil der Pressefreiheit. Persönliche
Diffamierungen, Verunglimpfungen und Verspottungen aber sind ein Missbrauch
dieser Freiheit, sie verstoßen gegen das journalistische Ethos.
Dies gilt auch für Pauschalverdächtigungen und Pauschalverunglimpfungen von
Personen oder Personengruppen. Jede Diskriminierung aus rassischen, religiösen,
nationalen oder sonstigen Beweggründen ist unzulässig. ...
Wir möchten keineswegs Pommers gute
Motive für den publizierten Artikel in Frage stellen. Wahrscheinlich wollte er
wirklich Menschen zur Achtsamkeit und Vorsicht mahnen. Es hat sogar den
Anschein, dass er selbst ein Opfer der Sektenhetze geworden ist. Jedenfalls hat
er unserer Redaktion im
Telefongespräch erzählt, dass er als Schüler an seiner Schule
solche
(Anti-Sekten) Vorträge
gehört
und auch diese
Filme gesehen hat. Seine
Überzeugung hat
die Prägung einer religiös anmutenden Inbrunst und
lässt keinen Raum für Diskussion. Ist Herr Pommer - um es im Fachjargon
der Sektenaufklärer zu formulieren - nicht auch ein Opfer von Gehirnwäsche?
Trotzdem sollte Herr Pommer seine unsäglichen Pauschalierungen, die an
Fanatismus grenzen, künftig auf sein Tagebuch
beschränken. Solch unseriöser "Yellow Press-Journalismus" in Sachen
Sektenproblematik ist heutzutage nicht einmal mehr in Dorfkirchenblättern zu
finden.
7. FOREF- Forum Religionsfreiheit
Unsere FOREF - Redaktion befasst sich
seit einiger Zeit mit der Problematik der Sektenaufklärung an den Schulen. FOREF
(Forum Religionsfreiheit) hat im vergangenen Jahr auch ein Rechtsgutachten in
Auftrag gegeben, welches in einer Pressekonferenz im Linzer Pressezentrum am
28.3.2003 von Prof. Dr. Christian Brünner vorgestellt wurde (Rechtsgutachten
gegen staatliche Diskriminierung religiöser Minderheiten ). Zur Zeit sammelt
unsere Redaktion Fallbeispiele von religiöser Diskriminierung in den Schulen.
Sollte die Kronen Zeitung wieder einmal über die "Sektenproblematik" schreiben,
möchten wir Sie bitten, in Ihren Recherchen auch jene Betroffene zu
berücksichtigen, die im besagten Artikel keines einzigen Wortes würdig erachtet
werden. Nämlich jene Männer und Frauen, die keiner Fliege etwas zu Leide getan
haben und deren einziges Vergehen es ist, in einem sektenphobischen Land geboren
zu sein und eine staatlich nicht anerkannte Überzeugung zu haben. Deswegen sind
sie oft Diskriminierung, Verachtung und sogar Mobbing ausgesetzt. Oder jene
Kinder aus solchen Familien, die bloß wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit von
Lehrern und Mitschülern ausgelacht und stigmatisiert werden.
Der kürzlich von uns geschiedene Kardinal DDr. Franz
König sagte: "Das Recht auf Religionsfreiheit... stellt so etwas wie die
Existenzgrundlage für die anderen fundamentalen Freiheiten des Menschen dar."
Sehr geehrter Herr Kuhn, als verantwortlicher Chefredakteur einer sehr
populären Tageszeitung haben Sie wie kein anderer die Möglichkeit, diesem
Grundrecht seine gebührende Bedeutung im kollektiven Bewusstsein Österreichs zu
geben. Wir appellieren an Ihre Vernunft und an Ihr Gewissen: Lassen Sie nicht
zu, dass die Kronenzeitung weder von religiösen
noch von neo-inquisitorischen Fanatikern instrumentalisiert wird.
Mit freundlichen Grüßen,
Peter Zöhrer
im Namen des FOREF
Redaktionsteams
Chefredaktion: chefredaktion@kronenzeitung.at
Redaktion: krone@krone.at
Lokalredaktion (M.Pommer) lokales@kronenzeitung.at & Anna.Richter-Trummer@kronenzeitung.at
Michael Pommer: michael.pommer@kronenzeitung.at
Leserbriefe: leser@kronenzeitung.at
Tel: 0136011-0
Fax: 01-3698128 & 013698385
Auftraggeber der "Sektenstudie"
OÖ Landesregierung: Landesrätin Mag. Johanna Mikl-Leitner (VP)
Büroleiterin: Mag. Susanne Bartalsky
Tel.: (02742) 9005 DW 12622
Fax: (02742) 9005 DW 12650
Adresse: 3109 St. Pölten, Landhausplatz 1,
Haus 1
E-Mail: buero.mikl-leitner@noel.gv.at
FOREF -
Ein Projekt von ICRF - Österreich
Ihr Forum für religiöse Toleranz & Menschenrechte
Zentrale Forderung des FOREF: die konsequente Umsetzung des fundamentalsten Menschenrechtes unserer Demokratie - der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Unzensierte Informationen über die Grundrechte und deren Verletzung.
Fragen & Kommentare an: