Meinungsfreiheit als
Karikatur
Appeasement auf
Dänisch: eine vorläufige Bilanz des Karikaturenstreits
Der Standard: Ein
Kommentar der anderen von Uffe Ellemann-Jensen,
ehemaliger Außenminister im Heimatland der Zeitung "Jyllands-Posten"
Nun, da der Konflikt um
die den Propheten Mohammed darstellenden Karikaturen abflaut, wie ich zumindest
hoffe, wird auch klar, dass die einzigen Sieger die Extremisten sind - die in
der islamischen Welt und jene in Europa.
Ich bedaure, dass die Kontroverse in meinem Land ihren Ausgang nahm, als eine
Tageszeitung im naiven Bemühen um eine Demonstration der Meinungsfreiheit
entschied, die Karikaturen zu veröffentlichen. Das geschah letzten Herbst und
schon damals habe ich diese Entscheidung öffentlich als unsensiblen Akt
kritisiert, weil er die religiösen Gefühle anderer Menschen verletzt.
Außerdem war es eine unnötige Provokation, welche auch die in der Verfassung
verankerte und von uns hochgehaltene Meinungsfreiheit zur Karikatur verkommen
ließ. Mein Vater (selbst ein alter Journalist) sagte immer, Meinungsfreiheit
bedeutet: Man hat das Recht zu sagen, was man denkt - aber nicht die Pflicht, es
auch wirklich zu tun!
Als die Kontroverse vor ein paar Wochen ausbrach, wurde viel Öl ins Feuer
gegossen. Zahlreiche unrichtige Geschichten wurden in Umlauf gebracht: falsche
Gerüchte, wonach der Heilige Koran bei Demonstrationen verbrannt worden sei,
falsche Informationen über den Status des Islam in Dänemark, fehlerhafte
Übersetzungen von Stellungnahmen unserer Königin, usw. Das hat den Zorn noch
verstärkt und im Endeffekt zu brennenden Botschaften und Gewaltandrohungen
geführt.
Der Konflikt wurde als "Kampf der Kulturen" bezeichnet. Soweit könnte es
durchaus kommen, das Potenzial ist vorhanden. Ich würde diese Auseinandersetzung
trotzdem eher als "Kampf der falsch Informierten" bezeichnen.
Auf beiden Seiten wurden viele Fehler begangen: Auf der einen Seite herrschte
mangelndes Verständnis für die tiefen religiösen Gefühle, die durch diese
Manifestation der Missachtung verletzt wurden. Auf der anderen Seite saßen die
Menschen übertriebenen und sogar gefälschten Geschichten über die tatsächlichen
Ereignisse auf.
Bunteres Leben
Das Potenzial für einen "Kampf der Kulturen" liegt in den gravierenden
Unterschieden zwischen europäischen und islamischen Kulturen und Traditionen.
Wir sollten uns immer derjenigen bewusst sein, die danach trachten, diese
Unterschiede noch zu vertiefen und in eine unüberwindbare Kluft zu verwandeln
anstatt sie als Inspiration für ein bunteres Leben zu betrachten.
Nun ist es für solche Menschen sehr einfach, auf den Fall der Karikaturen zu
verweisen und zu sagen: Jetzt seht ihr, dass Demokratie westlichen Zuschnitts
und die Meinungsfreiheit dazu führen, dass euer religiöser Glaube zum Ziel
allgemeinen Hohns und Spotts gemacht wird!
Es ist deshalb so einfach, weil die Meinungsfreiheit durch die Veröffentlichung
der Karikaturen zur Darstellung der Meinungsfreiheit selbst benutzt - und auf
diese Weise zu einer Karikatur ihrer selbst gemacht wurde.
Kollision der Werte
Unsere globalisierte Welt verschafft uns nicht nur wirtschaftliche Chancen,
sondern bringt auch kulturelle und spirituelle Herausforderungen mit sich.
Internet und SMS haben sich in weniger als zehn Jahren entwickelt, aber wir
haben uns mental noch nicht auf die Auswirkungen einer derart unmittelbaren
Kommunikation eingestellt. Die dänischen Karikaturisten und die
Zeitungsherausgeber, welche die Karikaturen veröffentlichten, haben offenbar
nicht verstanden, dass sie sich damit nicht ausschließlich an eine lokale
Leserschaft wandten, sondern auch an andere Bewohner des globalen Dorfes. Hätten
sie es verstanden, wären die Karikaturen nicht erschienen - wie sie in ihrer
Entschuldigung auch deutlich werden ließen.
Die Lehren aus diesem unglücklichen Vorfall scheinen klar: Wir sollten
anerkennen, dass es in einer modernen Welt für alle vernünftigen Menschen von
zunehmender Bedeutung ist, sich für gegenseitigen Respekt, Toleranz und ein
besseres Verständnis einzusetzen. Wir müssen Situationen vermeiden, in denen
verschiedene Werte in einer Art und Weise aufeinander prallen, die zu Gewalt
führt. Stattdessen müssen wir versuchen, zwischen Religionen, Ethnien und Normen
Brücken zu bauen.
Ernste Gefahr
Bezeichnen Sie das von mir aus als Selbstzensur. Aber vernünftige Menschen üben
sich die ganze Zeit in Selbstzensur: Wenn sie mit anderen Menschen in einem Raum
zusammen sind, versuchen Sie ja auch, die anderen nicht durch unnötige
Provokationen zu beleidigen. Der Raum über den wir hier sprechen ist nun nicht
mehr der Dorfteich, sondern das ganze globale Dorf. Koexistenz heißt das
Schlüsselwort.
Manche Menschen wollen das nicht akzeptieren. Sie verschließen sich Werten, die
nicht ihre eigenen sind. Sie wollen die Konfrontation. Solche Menschen sind in
Europa ebenso zu finden wie in der islamischen Welt. Wenn wir ihnen allerdings
nichts entgegensetzen, besteht für uns alle die ernste Gefahr, dass wir manche
der größten Fehler der Geschichte wiederholen. (DER STANDARD, Printausgabe
20.2.2006)
© 2006 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.