Bedenklicher Jahresbericht 2000 der Bundessektenstelle

Hannes Roland


Bundessektenstelle rühmt sich 3953 "fachspezifische Kontaktaufnahmen" gehabt zu haben. Das sei eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 20%. Weiters stellt sie u.a. fest, dass die Zugehörigkeit zu einer Sekte als "Hilferuf" verstanden und als "Symptom gewertet werden könne, das auf eine tiefer liegende Problematik hinweise"


Wenn das "Informations- und Beratungsangebot" wie es im Bericht heißt "vor allem von einschlägigen Fachstellen, Privatpersonen und staatlichen Stellen, aber auch von Firmen und privaten Institutionen sowie für Bildungszwecke in Anspruch genommen" wurde, stellt sich eine ganz wesentliche Frage: Wie viele dieser 3953 "fachspezifischen Kontaktaufnahmen" bei der Bundessektenstelle, die sich als Informationsdrehscheibe und Koordinationsstelle bezeichnet, dienten im Berichtjahr 2000 tatsächlich der Hilfe persönlich Betroffener?

Die Frage stellt sich, weil unklar bleibt in welchem Verhältnis all diese Bereiche der genannten Zahl zuzuordnen sind; weil also nicht gesagt wird wie vielen persönlich Betroffenen tatsächlich geholfen wurde und in wie vielen "fachspezifischen Kontaktaufnahmen" nur über Sekten gesprochen und Veranstaltungen über sie abgewickelt wurden. Und wenn bei Expertenschulungen, Informationsveranstaltungen und Beratungen einseitig das rein gegnerorientierte Wissen weitergegeben bzw. verwendet wurde, das in Informationsschriften, Literaturlisten und auf Internetseiten das drückende Übergewicht bildet, dann muss ernsthaft in Frage gestellt werden, ob die dafür nötigen Steuergelder nicht hätten nutzbringender für die Bevölkerung und zielführender für die Problemlösung eingesetzt werden können.

Höchst bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Schlussfolgerung am Ende des Jahresberichtes, wo es heißt, dass die Zugehörigkeit zu einer Sekte als "Hilferuf" verstanden und als "Symptom gewertet werden könne, das auf eine tiefer liegende Problematik hinweise". Wo aber liegt diese "tiefer liegende Problematik"? Offenbar liegt sie tief in unserer zunehmend egoistischen Konsum- und Wertegesellschaft; einer Wohlstandsgesellschaft, in der die Menschlichkeit in Familie und Beruf leider immer mehr auf der Strecke bleibt und unter deren Druck sich viele gar nicht wohl fühlen. Aus dieser heraus strömen ja die Menschen hin zu den sogenannten Sekten und suchen bei ihnen eine Lösung oder wenigstens einen Ausweg für ihre bereits vorher erworbenen Probleme.

Die Schlussfolgerung wirft somit eine sehr entscheidende Frage auf: Was unternehmen Sektenstelle und Sektenexperten, um diese "tiefer liegende Problematik" in unserer Gesellschaft zu lösen? Sie bekämpfen zwar lautstark die neuen "Sinnanbieter", stigmatisieren sie gestützt von Steuergeldern allgemein als "sogenannte Sekten" und stellen diese der Bevölkerung in vielfältige Warnungen verpackt als ein mit der Aufschrift "Vorsicht gefährlich!" versehenes "Rotes Tuch" vor. Wie aber soll diese Vorgangsweise das tiefer liegende Problem in unserer zunehmend egoistischen profit- und wettbewerbsorientierten Wohlstandsgesellschaft auch nur ankratzen?

Würde effiziente, weitblickende und professionelle Sekten-Aufklärung in diesem Licht nicht bedeuten, dass vorrangig auch nach Lösungswegen für die tiefer liegende Problematik in der Gesellschaft zu suchen sei? Wäre wie bei einer Krankheit einmal die Ursache beseitigt, so würde das den Zulauf zu den Sekten doch automatisch und fast ganz von selbst zumindest entscheidend verringern. So aber hat man das Gefühl, dass Bundessektenstelle und maßgebliche Sektenexperten mit ihrer Arbeit hauptsächlich Ängste vor Sekten schüren, und dass sie dort wo noch keine Ängste bestehen, diese mittels "Informationsveranstaltungen und Schulungen" wecken. Dass derartige Ängste dann steigende Anfragenquoten bei der Sektenstelle zur Folge haben können scheint einleuchtend.

Mit dieser Methode kann man sicherlich auch eine damit verbundene Mehrarbeit begründen, aber bietet man mit ihr auch sinnvolle und weitreichende Lösungen an? Selbst wenn diese Methode so erfolgreich sein sollte, dass man mit ihr unser Land von den Sekten "befreien" könnte, hätte sich an der angesprochenen tiefer liegenden Problematik, also am eigentlichen Nährboden für die Sekten, noch immer nicht das Geringste geändert. Und um ein Ventil für den Überdruck zu haben, den diese tief liegenden Probleme in der Gesellschaft weiterhin hervorrufen würden, würden Menschen auch in einem sektenfreien Land gezwungen sein, sich neuerlich Sekten oder dergl. als Sinnanbieter zu suchen oder gar selbst zu schaffen.

Wie lange würde dieses Spielchen dann weitergehen? Ganz sicher solange, bis die angesprochenen tiefer liegenden Probleme gelöst sind. Wieso haben die Sektenfachleute als "Experten" mit den ihnen zur Verfügung gestellten Geldmitteln nicht schon längst multi- und überparteiliche Plattformen ins Leben gerufen oder zumindest angeregt, die das tiefer liegende Problem in unserer Gesellschaft ernsthaft zum Thema machen, offen auf den Tisch legen und gemeinsam und engagiert Lösungen in Angriff nehmen?

Plattformen, die sich aus Ärzten, Psychologen, Vertretern verschiedener Religionen, aber auch aus Forschern, Politikern, Wirtschaftsfachleuten, Familienberatern, Pädagogen, Eltern, Jugendlichen und, und, und... und sogar auch aus seriösen Sektenvertretern zusammensetzen - Sektenvertretern deshalb, weil auch sie offenbar etwas einzubringen imstande sind, was Sinnsuchende in unserer profitorientierten Ellbogengesellschaft schmerzlich vermissen?

Hätten sich Sektenexperten neben der Kritik an Sekten nicht schon längst auch damit eingehend beschäftigen müssen, was in "sogenannten Sekten" Gutes, Vorbildliches und vielleicht sogar Nachahmenswertes zu finden ist? Es ist durchaus nicht so, dass alles in "sogenannten Sekten" nur böse, gefährlich und zerstörerisch für unsere Jugend und unsere Gesellschaft ist. Zur Zeit aber werden einseitig nur die Sekten zum Thema gemacht und als Problem angeprangert.

Natürlich kann niemand von einer Sektenstelle verlangen alle Probleme der Gesellschaft zu lösen, aber die Bevölkerung erwartet zurecht zumindest einen brauchbaren Lösungsansatz und Hinweise auf die Richtung, in der sinnvolle und umfassende Lösung zu finden sind. Wozu brauchen wir sonst eine Bundessektenstelle?

Reine Sektenbekämpfung und Sektenbespitzelung, auf die von der Sektenstelle in der Vergangenheit gesetzt wurde und auf die scheinbar auch weiterhin gesetzt wird, enttarnt sich in diesem Kontext schnell als Irrweg, der obendrein in einer Sackgasse enden muss, denn er führt nur zu Unruhe, Spannungen, Spaltungen, Gegenerschaften und Ängsten in unserem Land, niemals aber zu Lösungen und schon gar nicht zu friedlichen Lösungen. Was nützt da der schönste, selbstbeweihräuchernde, sich mit Zahlen und Zuwachsraten brüstende Jahresbericht einer Bundessektenstelle, wenn in deren Praxis nur die Sekten und sektenähnliche Gruppierungen als Problem angesehen, weitreichende Lösungsansätze aber zugunsten enggleisiger Sektenbekämpfung nicht einmal ins Auge gefasst werden?

LINKS:

ORF-RELIGION
www.parlament.gv.at
ots-bundesstelle-2000.htm