Religionsrassismus
und der Ruf
nach Rechtsschutz für religiöse Gefühle
Hannes
Roland
Der Stuttgarter Philosoph Robert Spaemann fordert in
einem Interview mit Radio Vatikan im August dieses Jahres einen besseren Rechtsschutz für
religiöse Gefühle.
http://religion.orf.at/tv/news/ne010821_spaeman_blasphemie_fr.htm
Als "besorgniserregend"
bezeichnete Spaemann, dass grobe Beschimpfung der Religion zunehmend unter Berufung auf
Kunst- und Meinungsfreiheit als legal angesehen werde. Damit werde in steigendem Maße
"die geistige Existenz des Menschen nicht ernst genommen", so Spaemann in dem
Interview. Spaemann schnitt abschließend auch die persönlichen Folgen an: "Wenn Sie
jemandem ein Bein stellen, dass er auf die Straße fällt und sich eine Beule holt, sind
Sie auf jeden Fall dran, vor Gericht" sagte er. Es gebe jedoch viel schlimmere
Schädigungen als eine Beule. Wenn das, worin ein Mensch sein Heiligstes sieht,
öffentlich geschmäht werde, dann sei das eine tiefe Kränkung dieses Menschen, so
Spaemann.
Das wirft eine sehr ernste
"christlich-religiöse" Frage mit großer Reichweite auf - einen Punkt, den
Spaemann in seinem Interview zwar nicht direkt anspricht, der aber in diesem Zusammenhang
sehr wichtig ist: Wieviel Respekt vor religiösen Gefühlen Andersgläubiger, besonders
Angehöriger religiöser Minderheiten, haben Amtskirchen, insbesondere deren Sekten- und
Weltanschauungsreferate, und seit einigen Jahren auch staatliche
Sektenbeobachtungsstellen? Wie sehr nehmen diese die "geistige Existenz"
Andersgläubiger aus religiösen Minderheiten ernst? Wie sehr verletzen sie im Machtschutz
von Kirche und Staat mit ihrer abwertenden Einordnung als "Sekte" die
religiösen Gefühle anderer? Dieser Frage sollte in einer sehr eingehenden, aber
neutralen und unabhängigen wissenschaftlichen Studie nachgegangen werden. Von den
kirchlichen und staatlichen Sektenstellen fühlen sich die meisten Angehörigen solcher
Gruppen mit deren Einordnung unter die "Sekten" beschimpft, in ihren religiösen
Gefühlen verletzt und fehlinterpretiert. Sektenexperten zeichnen in Beschreibungen für
die Öffentlichkeit oft ein Glaubensbild, das dem der "Gläubigen" gar nicht
entspricht, in dem sie sich gar nicht wiederfinden und das ihre religiösen
Glaubensinhalte und Wertsetzungen gar nicht oder nur in verzerrter Form widerspiegelt, das
aber dem interessierten Leser als wahrheitsgetreue "Expertise" aufgetischt wird.
Hier tritt eine Art Religionsrassismus zutage - die "Ich
habe recht, weil ich aus der richtigen Religion komme und du hast Unrecht, weil ich recht
habe - Ideologie." In der Broschüre "Sekten Wissen
schützt" des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie, für die die
Amtskirchen besonders seit den frühen 70er Jahren die wesentlichen Vorarbeiten geleistet
haben, sind sie aufgezeichnet, die "anerkannten" Religionen und die "nicht
anerkannten". Dabei sind die anerkannten die, die recht haben, ziemlich
gleichgültig, ob sie untereinander oder gegeneinander menschenverachtende und
mörderische Kriege führen, wie beispielsweise in Nordirland (Katholiken und
Protestanten) oder in Israel (Palästinenser und Israelis) und gleichgültig welche
Gruppen aus ihren Reihen sie unterstützen, wie beispielsweise das Opus Dei - von vielen
Sektenexperten als Sekte bezeichnet - das im kommenden Jahr mit einem
"demonstrativen" Jubiläums-Festgottesdienst im Stephansdom, den Erzbischof
Christoph Schönborn persönlich am 9. Jänner zelebrieren wird, seine "Imagekampagne
2002" beginnen darf. http://religion.orf.at/tv/news/ne010820_opus_dei_fr.htm
Die anderen hingegen sind die "nicht anerkannten
Glaubensgemeinschaften", die von Kirche und Staat schon mit der Einordnung als
"Sekte" stigmatisiert, in der Bevölkerung schlecht gemacht, in ihren
religiösen Gefühlen verletzt und in der Form entmündigt werden, dass sie in
"offiziellen" Beschreibungen, Einschätzungen und Aufklärungsschriften (wie
beispielsweise in der genannten Broschüre) nicht einmal selbst ihren Glauben und dessen
Inhalte vorstellen und beschreiben dürfen. Sektenexperten aus Kirche und Staat maßen
sich jedoch an, das zu tun. Sie stellen als "anerkannte Experten" der
Bevölkerung in "Aufklärungsschriften" die einzelnen Gruppen und deren
Glaubensinhalte freimütig und selbst definiert vor. Und das was sie sagen stimmt auch
dann, wenn die Sektenangehörigen einwenden, dass ihre Glaubensinhalte in diesen
Beschreibungen unvollständig, irreführend oder verzerrt dargestellt werden. Aber die
Sektenangehörigen sind ja "blindgemachte, urteilsunfähige Gehirngewaschene und
brauchen oder können daher nicht ernst genommen werden", und so müssen "wir,
die Vertreter der Großkirchen und des Staates, diese Aufgabe für sie übernehmen und der
Bevölkerung deren Glaubensinhalte, Ziele und Arbeitsmethoden näherbringen".
Man stelle sich in diesem Zusammenhang bildhaft vor, was
der Philosoph Robert Spaemann in seinem Interview mit Radio Vatikan anschneidet, wenn er
einen "Rechtsschutz für religiöse Gefühle" fordert und am Ende seines
Interviews darauf hinweist: Wenn das, worin ein Mensch sein Heiligstes sieht, öffentlich
geschmäht werde, dann sei das eine tiefe Kränkung dieses Menschen.
Haben Kirche und/oder Staat derartige Vorgehensweisen nötig?
Wenn sie als Aufklärer zu einer Beruhigung oder gar Heilung dieser Situation beitragen
möchten, sollten sie da nicht im Sinne Spaemanns die Situation umkehren und mit gutem
Beispiel vorangehen und auch bei aller Kritik, die sie anbringen und die in vielen Fällen
durchaus berechtigt sein mag, darauf achten die religiösen Gefühle Andersgläubiger
nicht zu verletzten und das, worin solche Personen ihr Heiligstes sehen, nicht schmähen,
sondern vielmehr mithelfen, die entstandene Kränkung zu heilen?
FOREF
- 10 Punkte Appell zur Verwirklichung fundamentaler Menschenrechte in
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