Frankreich beschließt Anti-Sekten-Gesetz.
(30. Mai 2001)


 Sieben Dinge können Sie sofort gegen dieses französische Gesetz unternehmen:
Ein Manifest
von
Massimo Introvigne
(Direktor des CESNUR-Zentrums zum Studium neuer Religiöser Bewegungen)


Sie haben es durchgesetzt. Trotz heimischem und internationalem Protest (einschließlich dem der römisch-katholischen und der protestantischen Kirchenoberhäupter Frankreichs) verabschiedete das Französische Parlament am 30. Mai das Anti-Sekten-Gesetz mit dem Text, der bereits vom Senat genehmigt worden war. Eine überraschend kurze Besprechung ( an einem Tag mit voller Agenda einschließlich einer Debatte über das neue Abtreibungsgesetz) veranlaßte die französischen Parlamentsmitglieder, die religiöse Freiheit von einigen tausend Franzosen ernsthaft einzuschränken. Die Anti-Sekten-Experten unter den Parlamentariern zogen ihre übliche Show ab, wobei PM Brard die offizielle Kritik des Gesetzes von Seiten der Katholiken und Protestanten als "Bruch des Prinzips der Trennung von Kirche und Staat" anprangerte und die französischen katholischen Beamten u.a. für ihre "Verbindung zu Mr. Introvigne, einem sehr aktiven Apologeten des Laisser- faire (Gewährenlassen) für die Sekten."

Anti-amerikanische Attacken waren weniger subtil als üblich, und die amerikanische Verwaltung wurde angeklagt, von sowohl Scientology als auch der Moon-Sekte unterwandert zu sein. Ein naives Parlamentsmitglied bemerkte sogar, daß, hätte dieses Gesetz bereits existiert, wären die Selbstmorde und Morde der Sonnentempler vermeidbar gewesen (siehe Mitschrift der Parlamentsbesprechung hiezu). Wir haben das Gesetz untersucht (welches noch immer die Anti-Gehirnwäsche-Vorgaben enthält, kosmetisch mit einem anderen Namen geschönt, und wiederholt per Änderung eines bereits bestehenden Abschnittes eingebracht wurde. Die Frage des Tages ist nun, was kann von seiten internationaler Gelehrter, religiöser Bewegungen und Aktivisten für Religionsfreiheit unternommen werden.

Hier liste ich meine Vorschläge dazu auf:

  1. Verstehen Sie das Gesetz im französischen Kontext. Anstatt die vorgeschlagene Petition einfach zu unterzeichnen, sollten Gelehrte zuerst ihre Hausaufgabe machen und versuchen, den historischen, kulturellen und rechtlichen französischen Kontext zu begreifen. Die Studien französischer Gelehrter wie Danièle Hervieu-Léger, Emile Poulat, und Jean Baubérot mögen eine entscheidende Rolle spielen. Wir begannen diese Diskussion bei der Konferenz 2001 in London, und dies könnte der Beginn künftiger Studien sein. Das Begreifen des Kontexts mag auch die einzige Möglichkeit zu einem ehrlichen Dialog mit den gemäßigteren Elementen unter den von der behaupteten "Sektengefahr" in Frankreich Betroffenen bieten.

  2. Unterstützen Sie den heimischen und europäischen Rechtsstreit. Vielleicht können wir auf derselben Seite mit den meisten französischen Gelehrten unsere Hoffnungen direkt in den französischen und europäischen Rechtsstreit setzen. Französische Richter haben sich bemerkenswert unwillig erwiesen, Anti-Sekten-Gesetze zu vollstrecken, und einige Vorgaben könnten Frankreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Bedrängnis bringen. Betrachten Sie es nicht als widerwärtig, daß Gelehrte die Prozesse unterstützen, die von einigen religiösen Bewegungen vermutlich eingeleitet werden. Betrachten Sie lieber den Mangel an Unterstützung durch sie als widerwärtig.. Wo alles sonst fehlgeschlagen hat, mag ein beharrlicher Prozess erfolgreich sein.

  3. Torpedieren Sie den Vollzug des Gesetzes, indem Sie es für nicht vollstreckbar erklären. Wo das Gesetz von "kultischen Gruppen" und Gehirnwäsche oder Gedankenkontrolle (unter jedem anderen Namen) spricht, erklären Sie immer wieder, daß diese Dinge nicht existieren."Kulte" und "Gedankenkontrolle" sind nicht definierbare Kategorien ohne präzise fachliche oder rechtliche Bedeutung. Als solches ist jedes Gesetz, das sich auf diese Schattenkategorien bezieht, klarer Weise unvollziehbar. Eine ziemliche Anzahl französischer Richter mögen diesen Argumenten im Stillen zugänglich sein, vorausgesetzt, sie werden ihnen ruhig und logisch erklärt.

  4. Füttern Sie nicht die Wölfe. Natürlich sollen jene religiösen Bewegungen zur Verantwortung gezogen werden, die gegen bestehende allgemeine Gesetze (im Gegensatz zu den speziellen Anti-Sekten-Gesetzen) verstoßen. Verteidigen Sie sie nicht, indem Sie Religionsfreiheit als Entschuldigung für Straftaten gelten lassen. Auf der anderen Seite sollten sogar weniger genehme Bewegungen, die Pseudostraftaten wie der "Gehirnwäsche" oder "eine Sekte zu sein" angeklagt sind, mit aller Kraft verteidigt werden. Egal wie sehr wir sie verabscheuen mögen, niemand kann einer imaginären Straftat für schuldig befunden werden. Wir werden dazu neigen, zwischen "guten Sekten" und "schlechten Sekten" zu unterscheiden und letztere den Wölfen vorwerfen. Das würde jedoch nur die Wölfe nähren: und wer wäre der nächste ?

  5. Wirb oder stirb: Machen Sie einen internationalen Gelehrten in Frankreich gut bekannt. Einige der besten allgemeinen soziologischen Arbeiten über Religion wurden ursprünglich in Frankreich veröffentlicht. Andererseits wurden keinerlei empirische Daten über religiöse Bewegungen systematisch gesammelt, und es gibt keine umfassende Enzyklopädie der religiösen Körperschaften, die in Frankreich aktiv sind. Über die meisten Bewegungen, die als Sekten geführt werden, gibt es keine von Gelehrten veröffentlichten Monographien (nur apologetische Literatur von den Bewegungen selbst oder Anti-Kult-Exposés). Englische akademische Literatur über die Gehirnwäsche-Kontroverse und die Kult-Kriege wurde fast nie übersetzt. In englischsprechenden Ländern wohlbekannte Argumente scheinen daher in Frankreich ziemlich neu. Dies ist eine typische "Wirb oder stirb"-Situation. Französischen Übersetzungen stichhaltiger akademischer Literatur über religiöse Bewegungen sowie deren Zirkulation in Frankreich sollte erste Priorität zugewiesen werden.

  6. Unterstützen Sie taktvoll den internationalen ausgeübten Druck. Anti-Kultisten in Frankreich haben gekonnt Anti-Amerika-Gefühle geschürt, indem sie "Sekten" als "das amerikanische trojanische Pferd in Europa" geschildert haben (der Titel kommt unglücklicherweise nicht von einer Boulevardzeitung sondern von einem sonderbaren Artikel aus der ansonsten angesehenen Le Monde Diplomatique). Andererseits war der international ausgeübte Druck eindeutig darin erfolgreich, Anti-Kult-Gruppen in anderen Ländern in die Schranken zu weisen. Er wird schließlich auch in Frankreich Erfolg haben. Vorausgesetzt, dass er nicht als ausschließlich "amerikanisch" dargestellt wird, und dass er taktvoll nationale französische Traditionen respektiert. Stille Diplomatie könnte viel besser funktionieren als ganzseitige anti-französische Anzeigen wie in der Herald Tribune.

  7. Ignorieren Sie Anschuldigungen Sie seien "Sektenapologet" (jemand., der für Sekten bzw. Kulte eintritt). Wenn Sie die obigen Schritte durchführen, werden Sie dessen beschuldigt werden. Französische Geheimdienste sind sehr aktiv darin gewesen, Gerüchteküchen (und Websites) zu unterstützen, die darauf abzielen, internationale Gelehrte und Aktivisten für Religionsfreiheit als von Sekten bezahlte Geschütze zu diskreditieren. Umgekehrt, anstatt Zeile um Zeile auf Unterstellungen zu antworten, Ihr Einkommen oder Privatleben betreffend, ignorieren Sie alle bezahlten Geschütze der französischen Geheimdienste, auch wenn sie unter irgendeinem akademischen Vorwand daherkommen. Sie sind nicht nur international diskreditiert, sie sind erwiesenermaßen bemerkenswert ineffektiv.

 



France Approves Anti-Cult Law on May 30, 2001


Seven Things You Can Do Immediately About the French Law: A Manifesto
by
Massimo Introvigne
(Director of CESNUR-Center for Study of New Religious Movements)



They did it. Despite domestic and international protest (including by both the Roman Catholic and Protestant highest authorities in France) the French House passed on May 30 the Anti-Cult Law in the text already approved by the Senate. A surprisingly quick discussion (in a day with a full agenda, including a debate on the new abortion law) led the French MPs to severely curtail the religious liberty of several thousand French citizens. The anti-cult professionals among the MPs performed their usual show, MP Brard attacking in particular the official Catholic and Protestant criticism of the law as "breaching the principle of separation of Church and State" and blaming French Catholic officers inter alia for their "relations with Mr Introvigne, a very active apologist of laissez faire for the cults".

Anti-American attacks were less subtle than usual, and the U.S. administration was accused of having been infiltrated by both Scientology and "Moon". A naïve MP even suggested that, had this law existed, the suicides and homicides of the Solar Temple would have surely been prevented (see preliminary transcript of the House discussion here). We have examined the law (which still includes anti-brainwashing provisions, cosmetically disguised under another name and introduced by way of amendment of an already existing section) repeatedly. The question of the day is what can be done by international scholars of religious movements and religious liberty activists. Here are my suggestions, presented as a quick checklist.

  1. Try to understand the law in the French context. Rather than simply signing petitions proposed by one or another religious movement, scholars should do their homework first, and try to understand the historical, cultural and legal French context. The studies of French scholars such as Danièle Hervieu-Léger, Emile Poulat, and Jean Baubérot may play a crucial role. We started this discussion at The 2001 Conference in London and this may be a starting point for future studies. Understanding the context may also offer the only possibility for a genuine dialogue with the more moderate element among those concerned with the alleged "danger of cults" in France.

  2. Support Domestic and European Litigation. Perhaps by parting company with most French scholars, we should place our immediate hopes in French and European litigation. French judges have proved remarkably unwilling to enforce anti-cult laws and some provisions may place France in trouble before the European Court of Human Rights. Do not regard as distasteful the support by scholars to the litigations a number of religious movements will probably launch. Rather, do regard as distasteful the lack of support for them. Where almost everything else has failed, persistent litigation may succeed.

  3. Torpedo the law’s enforcement by declaring it unenforceable. Where the law discusses "cultic groups" and brainwashing or mind control (by any other name), explain time and again that no such things exist. "Cults" and "mind control" are indefinable categories without precise scholarly or legal meaning. As such, any law dealing with these shadowy categories is clearly unenforceable. Quite a few French judges may be quietly responsive to these arguments, provided they are explained calmly and logically.

  4. Do not feed the wolves. Obviously, those religious movements infringing common law (as opposite to the special anti-cult law) should be prosecuted. Do not defend them, mistaking religious liberty as an excuse for common crimes. On the other hand, even the less palatable movements accused of pseudo-crimes such as "brainwashing" or "being a cult" should be vigorously defended. No matter how much we dislike them, nobody can be guilty of an imaginary crime. We will have the temptation of distinguishing between "good cults" and "bad cults", throwing the latter to the wolves. This, however, would only feed the wolves: and who will be next?

  5. Publish or perish: Make international scholarship well-known in France. Some of the best general-purpose sociological works on religion have been originally published in French. On the other hand, empirical data have not been collected systematically on religious movements, and there is no comprehensive encyclopaedia of the religious bodies active in France. There are no scholarly monographs published on most movements listed as "cults" (only apologetic literature by the movements themselves or anti-cult exposes). English-language academic literature on the brainwashing controversies and the cult wars has almost never been translated. Arguments well-known in English-language countries appear to be rather new in France. This is a "publish or perish" situation. Translating sound academic literature on religious movements into French and circulating it in France should be regarded as a top priority.

  6. Tactfully support international pressure. Anti-cultists in France have ably played on anti-American sentiment by depicting "cults" as "the American Trojan horse in Europe" (the title, unfortunately, does not come from a tabloid but from a strange article in the otherwise respected le Monde diplomatique). On the other hand, international pressure has clearly succeeded in putting brakes to anti-cult campaigns in other countries. It will eventually succeed in France, too. Provided it is not presented as "American" only, and it is tactful and respectful of French national traditions. Quiet diplomacy may work much better than full-page anti-French ads in the Herald Tribune.

  7. Ignore accusations of being a "cult apologist". When you take the above steps, you will be accused of being a "cult apologist". French secret services have been quite active in supporting rumour mills (and Web sites) aimed at discrediting international scholars and religious liberty activists as simple hired guns for the cults. In turn, rather than answering verse by verse innuendos about your sources of income or private lives, ignore altogether hired guns for the French secret services, even when they come with some sort of academic cloak. They are not only internationally discredited, they have proved to be remarkably ineffective.

FOREF Appell für Menschenrechte