Willkommen Österreich
29. November 2005, 17:10 Uhr, ORF2
Gesprochener Text zum heutigen Hauptthema:
Sekten, die Methoden der sogenannten Heilsbringer
ORF Moderatoren: Martina Rupp & Martin Ferdany
"Sektenexperte" Mag. Martin Felinger -
Gesellschaft
gegen Sekten und Kultgefahren (GSK)
GSK ist die österreichische Zweigstelle von
FECRIS
Leserforum
Offener Brief eines Betroffenen
Martina Rupp: Wunderschönen Nachmittag, Willkommen Österreich oder „Grüß
Gott“, wie man so gern bei uns im Land sagt.
Martin Ferdiny: Ohne sich eigentlich viel dabei zu denken und dabei
impliziert das doch quasi ein religiöses Bekenntnis. Aber wer hat sie denn jetzt
eigentlich wirklich, die Wahrheit über Gott, Mensch und die Welt? Es behaupten
viele die Wahrheit zu haben. Diverse Jugendreligionen, Kulte oder eben auch
Sekten. Allein in Österreich gibt es zig solcher Religionsgemeinschaften, mehr
oder weniger legal, versuchen sie Mitglieder zu ködern und eben für die einzige
richtige Wahrheit zu werben.
Martina Rupp: Mehr über die aktuelle Situation sehen Sie jetzt.
Bildbeitrag (gesprochener Text:)
War der Begriff Sekte ursprünglich eine neutrale Bezeichnung einer
philosophischen Lehre, einer religiösen oder politischen Richtung, so steht er
heute wertend für jene religiösen Gemeinschaften, deren Wurzel der radikale
Protest gegen Regeln und Autoritäten ist. Meist geleitet von einem so genannten
Propheten, heißt es in lexikalischen Standardwerken.
Österreichweit sind es nach Expertenmeinung mindestens 100.000 Menschen, die
einem solchen Propheten freiwillig oder nicht folgen. Wer auf der Suche nach dem
Sinn ist, dem öffnet sich ein breiter Markt. Neben den anerkannten Kirchen und
eingetragenen Bekenntnisgemeinschaften bieten allein in Niederösterreich rd. 600
Gruppen und Organisationen religiöse Dienstleistungen und Antworten auf Sinn-
und Lebensfragen an, so die niederösterreichische Landesstelle für Sektenfragen.
Um eine eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft zu werden, wie etwa die
Zeugen Jehovas oder die Baptisten, so erklärt die Landesstelle, gilt es ein
stattliches Prüfverfahren zu durchlaufen. Voraussetzungen sind eine gewisse
Mindestgröße und gewisse Strukturen. Die Eintragung wird versagt, wenn es im
Hinblick auf die öffentliche Ordnung, auf den Schutz der Freiheit, oder der
Entwicklung von Jugendlichen Bedenken gibt. So unterschiedliche die Zugänge der
vermeintlichen Heilsbringer bestimmen dann die Mittel, die, strategisch
eingesetzt, neue Schäfchen locken sollen. Besonders Jugendliche und ältere
Menschen, aber auch Menschen in Krisensituationen werden angesprochen. Man
verspricht ihnen ein Gemeinschaftsgefühl, eine allein glücklich machende Idee,
so die Experten.
Wenn man einmal in den Fängen einer Sekte ist, für den gibt es dann meist nur
mehr schwer ein Entkommen.
Martin Ferdiny: Und ein Experte ist bei uns im Studio, Mag. Martin
Fellinger. Sie sind Psychologe und geschäftsführender Gesellschafter der
Gesellschaft gegen Sekten und Kultgefahren: Gibt es einen bestimmten Typ Mensch,
der besonders gefährdet ist, um auf Sekten hereinzufallen, sage ich jetzt einmal
ganz provokant?
Mag. Felinger: In der Praxis hat sich gezeigt, dass es keinen so einen
Typus gibt. Also wer glaubt, dass es also die labilen Menschen sind, die
schwachen Menschen sind, die mit dem Leben nicht klar kommen, der irrt. Vielmehr
sind es Menschen, die auf der Suche sind, in irgendeinem Bereich des Lebens eine
Antwort zu finden. Das kann im gesundheitlichen Bereich sein; Menschen, die
schwer erkrankt sind, vielleicht ein bisschen ein Problem haben bei der Heilung
mit einer Schulmedizin, das können Menschen sein, die alleine sind, mit einem ,
die Anschluss suchen. Und wenn so ein Mensch, der so etwas sucht, auf eine
Gruppe trifft, die genau diese Antwort gibt, dann ist das praktisch wie ein
Schlüssel-Schloss Prinzip. Diese Person ist das Schloss und die Gruppe ist der
Schlüssel und sperrt dann auf. Dann ist jeder gefährdet, und jeder ist
irgendwann einmal in so einer Situation in seinem Leben. Immer wunderbar
klappt’s nicht. Es gibt immer wieder Einbrüche. Und wenn genau in dieser
Situation die richtige Gruppe kommt mit dem richtigen Angebot, dann sagt man,
und zeigt auch immer wieder die Beobachtungen aus der Praxis, dann sagt man,
dass jeder in gewisser Weise gefährdet ist.
Martin Ferdiny: Das ist da eine Art Immunsystem auf anderer Ebene, das da
in gewisser Weise versagt. Jetzt sind natürlich damit Gefahren verbunden, die
weitreichende Folgen haben, und genau über diese Gefahren wollen wir heute mit
Ihnen sprechen. Sie können Fragen an unsere Experten richten, sie können Ihre
Erfahrungen erzählen und auch Ihre Ängste. Rufen Sie uns an.
Bildbericht über Scientology….
Martin Ferdiny: Scientology wird in Österreich als Sekte geführt neben
vielen anderen Sekten, die es in Österreich noch gibt, und Martin Fellinger ist
von Berufs wegen mit Sekten betraut als Psychologe und in seinen sonstigen
beruflichen Tätigkeiten. Was macht jetzt Sekten so gefährlich, beziehungsweise,
was ist das Charakteristikum einer Sekte?
Mag. Felinger:
Ich denke, das gefährliche ist, dass die Persönlichkeit eines Menschen sich
stark verändert. Die Kritikfähigkeit, die Eigenständigkeit, die
Selbstständigkeit, ist meist sehr stark zurückgeschraubt.
Martin Ferdiny: Macht das die Sekte oder passiert das beim Menschen
selbst?
Mag. Felinger: Das macht die Sekte am Menschen. Das zweite ist, dass die
Emotionen in vielen dieser Gruppierungen abgeschnitten oder zumindest sehr, sehr
stark zugedeckt werden. Das heißt, es geht sehr viel über das Denken, es geht
über das Handeln, aber das Fühlen ist bei den Menschen, die lange Zeit in so
einer Gruppe drinnen waren, sehr, sehr rückgebildet. Und der dritte Punkt: Es
gibt einfach gefährliche Tätigkeiten, die dort gemacht werden. Also es gibt
Leute, die gehe nicht mehr zum Arzt, die bringen ihre Kinder nicht mehr zum Arzt
und meinen, dass allein durch Gebet, allein durch Handauflegen tatsächlich
Krankheiten geheilt werden. Das kann natürlich in manchen Fällen wirklich gut
gehen, aber es kann natürlich auch ganz, ganz extrem werden, wie wir erst aus
kürzester Zeit wissen. Da hat es in den Medien ja den Fall gegeben, dieses
Mädchens, das aufgrund von religiösen Vorschriften keine Nahrung mehr bekommen
hat, was bis zum Tod geführt hat.
Martin Ferdiny: Ja, da kennen wir auch die Geschichten von Zeugen
Jehovas, die Blutkonserven etc., etc. Das in der eigenen Gruppe bleiben ist ja
auch ein charakteristisches Merkmal, das man nicht herausgehen darf sondern in
der eigenen Gruppierung bleibt und von den anderen Einflüssen auch ein bisschen
abgeschirmt ist. Ist das eine bewusste Maßnahem der Sekten?
Mag. Felinger: Genau. Einerseits glaubt jede Gruppe, dass sie die einzige
Wahrheit hat. Dass alle anderen Gruppen auf alle Fälle einmal falsch liegen
können, dass die Menschen, die nicht in der Gruppe sind, einfach zweitklassig,
bestenfalls sogar drittklassig sind. Und das Abgrenzen hilft natürlich, dass
Einflüsse, kritisches Nachdenken, kritische Fragen, natürlich nicht an die
Mitglieder herangetragen werden, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass wirklich
jemand anfängt nachzudenken, einfach geringer wird.
Sprecher: Das ist also durchaus Strategie. Sind da junge Menschen eher
gefährdet?
Mag. Felinger: Junge Menschen, genauso wie auch ältere. Ich denke,
Menschen, die im Umbruch sind, die auf der Suche sind. Das ist natürlich bei
jungen Menschen gerade in der Entwicklung natürlich ein bisschen häufiger oder
ein bisschen stärker zu beobachten. Aber es gibt auch Gruppierungen, die wenden
sich ganz gezielt auch an ältere Menschen, einzig und allein darum, um hier
vielleicht leichter an Erbschaften oder Geld heranzukommen. Ja. Also ich denke,
man kann nicht sagen, nur die jungen, zwar auch die jungen, aber das geht
eigentlich über die gesamte Altersspanne hinweg.
Martin Ferdiny: …Die Frau Brigitte ist in der Leitung. Grüß Gott ...
Erzählt von einer Nichte….
Hat alle Kontakte abgebrochen…. Sind alle furchtbar verzweifelt, besonders ihr
13-jähriger Sohn…. Hat Kinder Vater überlassen mit allem drum und dran…
Ein klassischer Fall, wenn man das so sagen kann: aus einem wohlsituierten Leben
ausgebrochen und sich einer Sekte angeschlossen. Passiert ja relativ häufig.
Mag. Felinger: sehr klassisch, weil die Kontakte am Abbruch sind, also
dass abgebrochen wird. Das wichtigste, das man hier raten muss, am muss schauen,
so gut es möglich ist einen Kontakt zu halten. Das heißt, man muss sich das ein
bisschen so vorstellen, dass die Person, die jetzt in so eine Gruppe
hineingekommen ist, oft sich verändert darstellt. Ich vergleiche das jetzt ein
bisschen unter Anführungsstrichen, mit einem Rauschzustand. Und dass man
natürlich in so einer Situation sehr leicht Konflikte hier entstehen lassen
kann, die dann tatsächlich auch zum Kontaktabbruch führen. Das heißt, mein Rat
ist immer, möglichst die Konflikte hinten anstellen und schauen, dass je nicht
der Kontakt abbricht, weil dann jegliche Möglichkeiten geschlossen sind,
irgendwo an die Person heranzukommen, und dieser Person tatsächlich noch
irgendwo zu helfen.
Martin Ferdiny: Also für die betroffenen Angehörigen heißt das jetzt, die
Konflikte scheuen, aber den Kontakt wahren.
Mag. Felinger: Informationen sich besorgen über die Gruppierung,
möglicherweise auch Fachleute hinzu ziehen und überlegen, was kann man im ganz
konkreten Fall jetzt tatsächlich tun, was sage ich, was sage ich vielleicht
besser nicht, und was gibt’s hier für Möglichkeiten.
Martin Ferdiny: Von den nächsten Angehörigen lassen sich wahrscheinlich
die betroffenen Sektenmitglieder wahrscheinlich am wenigsten sagen.
Mag. Felinger: Das kann sein, aber ich denke, wenn die Gefühlsebene da ist,
wenn es hier eine gefühlsmäßige Verbindung gibt, dann ist die am schwersten von
der Sekte aufzulösen.
Martin Ferdiny: Herr Hans, bitte schön ... "Hier Hans Schackmar ???),
pensionierter evangelischer Pfarrer, habe etwas Sektenerfahrung ... Möchte etwas
selbstkritisches einbringen, nämlich dass es auch in den etablierten Kirchen
sektiererische Tendenzen gibt….. Es wird immer, wo es um religiöse Wahrheiten
geht immer eine sektiererische Selbstbehauptung geben. Gefährlich wird es immer
dort, wo der Wahrheitsanspruch in Lieblosigkeit und Verteufelung anderer tritt.
Ich wollte also einfach einbringen, dass wir auch in den vorhandenen Kirchen
sektiererische Tendenzen beobachten und hier ein kritisches Selbstbewusstsein
haben sollten."
Vielen Dank, Hans, den man glaub ich nur unterschreiben kann. Es gibt auch in den etablierten Kirchen natürlich große Gefahren und Abzweigungen und Gruppen, die doch nicht ungefährlich sind.
Mag. Felinger: Die Sektenproblematik muss man viel weiter noch sehen.
Es geht hier um ein System, um ein psychologisches System zwischen Menschen. Und
das kann genauso auch in Kirchen, in anerkannten Religionsgemeinschaften
punktuell beobachtet werden und auch in anderen Systeme wie z.B. in bestimmten
Ehen, wo sozusagen eine Person den Guru darstellt und die andere Person das
einzige Sektenmitglied. Also es geht um diese Abhängigkeit, das ist ganz
wichtig.
Martin Ferdiny: Um die Abhängigkeit und den absoluten Wahrheitsanspruch,
und gleichzeitig um die Verteufelung alles anderen. Die Frau Waltraud ist in der
Leitung: Guten Abend. Ich möchte meinen Vorredner ein bisserl widersprechen,
denn es gibt keine Katholiken und Evangelischen, die von Tür zu Tür gehen und
die Menschen regelrecht permanent sekieren und überreden wollen oder bei den
U-Bahn Stationen, in Fußgängerzonen…… Wenn das einmal verboten wird, dass die
nicht von Tür zu Tür gehen dürfen, dann würde auch viel weniger zu diesen Sekten
gehen.
Danke Frau Waltraud….. Nun kann man das eigentlich jetzt nicht explizit
verbieten, dass man grundsätzlich für seine Überzeugung Werbung macht. Oder ist
das möglich?
Mag. Felinger: Nein, also ich denke, die Religionsfreiheit ist etwas ganz
wichtiges in Österreich und daher muss man auch die Möglichkeit geben. Aber wenn
einem das wirklich unangenehm ist, dann reicht in vielen Fällen ein
entscheidendes Wort zu sagen: Ich möchte das nicht, bitte lassen Sie mich in
Ruhe. Wenn man sich bedroht fühlt muss man dann auch rechtliche Schritte
überlegen, aber in vielen Fällen reicht es auch schon, wenn man das klarstellt.
Martin Ferdiny: Wie wichtig wäre jetzt noch die Geschichte, wo man sich
hinwenden kann, wenn man als Betroffener, als Angehöriger Rat sucht.
Mag. Felinger: Ich denke, in Österreich gibt es eine Reihe an
Beratungsstellen. Es gibt einerseits die kirchlichen Beratungsstellen, es gibt
die öffentlichen Beratungsstellen und es gibt, wie unser Verein, beispielsweise
auch private Beratungsstellen, die sozusagen von Betroffenen gegründet wurden,
die sich zusammengeschlossen haben und bei uns gibt’s auch in Österreich den
einzigen Selbsthilfeverein, wo sich wirklich Menschen, die diese Erfahrungen
haben, treffen können, und ähnliche oder gleiche Erfahrungen austauschen.
Martin Ferdiny: Für Betroffene selbst, die in einer Sekte drinnen sind,
ist es schwer den ersten Schritt zu tun. ...
Wenn Sie vielleicht noch Fragen haben… können Sie noch unter der Nummer ...
Anrufen bis 19:00 Uhr ...
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Ges gegen Sekten u Kultgefahren
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Tel.: +43(1)3327537
Fax: +43(1)3323513
Email: sektinfo@aon.at
Anmerkung der Redaktion:
In unserem Land gibt es zur Zeit nicht weniger als 38 Sektenstellen. In österreichischen Schulen zirkulieren 44 Anti-Sekten Filme im Rahmen des religiösen - politischen- und Sozialunterrichtes. Weiters gibt es regelmäßig "Sektenaufklärung" im Unterricht. Das Unterrichtsmaterial ist häufig einseitig und demagogisch. Die Quellen der Informationen für Filme und Unterrichtsmaterial kommen fast ausschließlich aus den apologetischen Kreisen der Großkirchen. Objektivität, Fairness und journalistische Sorgfalt zählen leider nicht zu den Kriterien nach denen die "Sektenaufklärung" gestaltet wird.
Zunehmend beklagen sich Kinder und Eltern aus religiösen Minderheiten über Diskriminierung, Stigmatisierung und sogar Verhetzung die an unseren Schulen durch den gängigen Sektenunterricht betrieben wird. Diese Betroffenen Familien werden nie vom ORF kontaktiert oder von unseren Politikern angehört. Sie haben keine Stimme.
Prof. Dr. Brünner, Verfassungsexperte und Präsident von FOREF Europa übt heftige Kritik an der "Sektenaufklärung", wie sie von den Großkirchen mit Unterstützung staatlicher Einrichtungen betrieben wird und sieht darin eine akute Gefährdung unseres Rechtstaates.
Öffentliche Institutionen, wie Schulen, öffentlich, rechtliche Medien, etc., die ja an das Grundgesetz gebunden sind sollten sich niemals am Gleichheitsprinzip, der Religionsfreiheit und anderen Grundprinzipien unseres Rechtsstaates vergehen, sondern sie beschützen und sogar fördern.
Die GSK erhält finanzielle Zuwendungen vom Sozialministerium, der Stadt Wien und der NÖ-Landesregierung und wird regelmäßig von Schulen zwecks "Sektenaufklärung" engagiert. Der Mangel an Seriosität dieser Vereinigung kann an den obigen Kommentaren des Hauptreferenten von GSK, Mag. Felinger wohl leicht geortet werden.
Lesen Sie zum Thema "Sektenunterricht":
"Sektenaufklärung"
an österreichischen Schulen:
Erfahrung und
Appell eines Betroffenen
"Wir Jugendliche, die
Suche nach dem Sinn und der um uns besorgte Staat (Kirche)"
Wie ein 16 jähriger BRG Schüler die
Diskrepanz zwischen Toleranzerziehung und
"Sektenunterricht" erlebt und beurteilt.
Fragen & Kommentare
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