Die Furche
2. November 2000
Religionsfreiheit
Österreich mache - etwa durch das Sektenbüro - bewusst Propaganda gegen religiöse Gruppen. Religiöse Minderheiten würden benachteiligt, überwacht, boykottiert. So hieß es in einem Bericht der Presse über eine Resolution, die kürzlich im außenpolitischen Ausschuss des US-Repräsentantenhauses angenommen wurde. Neben Österreich werden Frankreich, Deutschland und Belgien wegen ihrer angeblichen Ungleichbehandlung religiöser Gemeinschaften (vor allem Zeugen Jehovas und Scientology) kritisiert. Daneben äußerte das US-Außenministerium die Befürchtung, die Regierungsbeteiligung der FPÖ werde das Klima für religiöse Minderheiten weiter verschärfen. Denn wiederholt wurden aus deren Reihen Aussagen getätigt, die als intolerant und antisemitisch betrachtet werden. WM
Keine Rede von Sektenbekämpfung
Verfassungswidriges Ignorieren eines Rechts
Kein anderes Grundrecht hätte so konsequent ignoriert werden können, ohne öffentliche Entrüstung zu entfachen.
von DDr. Heinz Mayer
Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass liberale
Grundhaltungen in Österreich nicht zum politischen Alltag zählen - spätestens mit dem
Gesetz über religiöse Bekenntnisgemeinschaften aus dem Jahre 1998 wäre er erbracht. Das
Gesetz und seine Entstehungsgeschichte zeigen, dass liberales Staatsdenken in manchen
Bereichen durch Engstirnigkeit und Intoleranz abgelöst wurde.
Das Staatsgrundgesetz 1867 gewährte dem Einzelnen volle
Glaubens- und Gewissensfreiheit" und ordnete das Verhältnis zwischen Staat und
Religion nach den Prinzipien der Parität und Neutralität.
Das heute noch geltende Anerkennungsgesetz aus dem Jahre 1874 trug dem Rechnung und sah
großzügige Ansprüche auf Anerkennung von Religionsgesellschaften vor. Die Praxis der
Zweiten Republik verstand es, dieses Gesetz zu unterlaufen. Zwar hatte der VfGH immer
festgestellt, dass der Anspruch auf Anerkennung als Religionsgesellschaft
verfassungsgesetzlich gewährleistet sei; da der VwGH eine Säumnisbeschwerde nicht
zuließ, war dieses Recht aber nicht durchsetzbar. Erst als der VfGH den VwGH 1995 zwang,
die Durchsetzung des Rechts auf Anerkennung zu ermöglichen war klar, dass die
jahrzehntelange verfassungswidrige Praxis des Ignorierens eines Grundrechts nicht
beibehalten werden konnte.
Nun eilte der Gesetzgeber zu Hilfe. Mit dem Bundesgesetz über religiöse Bekenntnisgemeinschaften
wird raffiniert sichergestellt, dass eine Anerkennung auch in den nächsten zehn Jahren
nicht erfolgen kann. Alle Religionsgesellschaften, die anerkannt werden wollen,
müssen zuvor als religiöse Bekenntnisgemeinschaften zehn Jahre lang anerkannt sein und
seit mindestens zwanzig Jahren bestehen. Das betrifft auch solche Gemeinschaften, die
schon jahrzehntelang in verfassungswidriger Weise hingehalten wurden.
Gleichsam zur Sicherheit hat man die Anerkennung an
zusätzliche Kriterien gebunden, die den im Jahre 1867 erreichten Grundrechtsstand beinahe
vernichten. Ein Beispiel: Für die Anerkennung sollen in Hinkunft etwa 16.000 Mitglieder
erforderlich sein. Dazu ist zu sagen, dass von den derzeit zwölf anerkannten
Religionsgesellschaften nur vier - möglicherweise fünf - diese Mitgliederzahl
erreichen;
Politisch wird diese Haltung mit der Notwendigkeit der
Sektenbekämpfung gerechtfertigt. Dieses Argument ist zwar als Killerargument tauglich und
wirksam, aber dennoch falsch: Erstens bewirkt die Anerkennung einer Religionsgemeinschaft
nicht, dass diese oder ihre Mitglieder nicht mehr an das Gesetz gebunden sind. Wer andere
Menschen betrügt, terrorisiert oder zu strafbaren Handlungen auffordert, ist strafbar,
auch wenn er dies als Funktionär oder Mitglied einer anerkannten Religionsgesellschaft
oder aus religiösen Motiven tut. Zweitens: welche Gefahren" werden denn durch
Gruppen wie die Siebenten-Tag-Adventisten, die Baptisten und die Koptisch-Orthodoxen
herbeigeführt? Auch gegen diese religiösen Minderheiten richtet sich die
verfassungswidrige Praxis, die nun sogar durch ein Bundesgesetz festgeschrieben ist. Unter
dem Deckmantel der Bekämpfung von Sekten wird eine religiöse Minderheit in geradezu
schikanöser Weise behandelt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 1996
ausgesprochen, dass wahrer religiöser Pluralismus ein immanenter Wesenszug des
Begriffes einer demokratischen Gesellschaft ist". Ein politisches Lager, das für
einen solchen Pluralismus steht, ist derzeit nicht zu sehen; die Positionen der
Parlamentsparteien zum Verhältnis Staat-Kirchen bewegen sich zwischen Gleichgültigkeit
und Beharrung auf dem Bestehenden. Kein anderes Grundrecht der österreichischen
Verfassung hätte solange und so konsequent ignoriert werden können, ohne einen
öffentlichen Sturm der Entrüstung zu entfachen. Es scheint beinahe so, als hätte sich
die Öffentlichkeit in dieser Frage mit ihren politischen Repräsentanten
solidarisiert.
Der Autor ist Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Wien.
Religiöse Minderheiten zwischen Großkirchen und Rechtsstaat - Dossier
Theorie und Praxis staatlicher "Sektenaufklärung" und die Notwendigkeit zusätzlicher wissenschaftlicher Expertise (zur Situation in Österreich)