Offener Brief an den
ÖSTERREICHISCHEN FAMILIENBUND
Betreff: ÖFB-Volksbegehren
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Verwunderung lesen wir einen der Vorschläge in dem vom Österreichischen Familienbund initiierten Volksbegehren. Sie fordern im vierten Punkt "Kinder und Jugendliche vor Sekten und Gewalt in den Medien schützen."
Hierzu haben wir folgende Fragen an Sie:
1. Was haben "Sekten" und "Gewalt in den Medien" so gemeinsam, dass sie im gleichen Punkt des Volksbegehrens angeführt werden?
Die Mehrzahl der Mitglieder von "Sekten", sprich religiöser Minderheiten, sind sicherlich mit dem ÖFB einer Meinung unsere Kinder und Jugendlichen müssen vor Gewalt in den Medien geschützt werden. Wie ernst ist aber dieses Anliegen des ÖFB zu nehmen, wenn dieser gleichzeitig Mitglieder von "Sekten" pauschal kriminalisiert und damit eine besonders perfide Art sozialer Gewalt ausübt und ein grundlegendes Menschenrecht, nämlich das der Religionsfreiheit, verletzt?
Aus Ihrer Forderung geht nicht hervor, welche "Sekten" Sie eigentlich meinen?. Wenn man sich schon einmal dazu berufen fühlt, die Nation zu warnen, sollte man dann nicht auch den Mut zu einer klaren Definition aufbringen, vor wem man eigentlich warnt???
2. Sind Sie sich dessen bewußt, dass der inquisitorische Kampfbegriff "Sekten" äußerst negativ belastet ist, stigmatisiert und zu einer Atmosphäre der geistigen und sozialen Apartheid in unserem Lande beiträgt?
Aus diesem Grunde hat die deutsche Regierung im letzten Jahr schon angekündigt, diesen abwertenden Begriff nicht mehr zu verwenden (Schlussbericht - Bonner Enquete-Kommission "Sog. Sekten und Psychokulte"). Wir ersuchen Sie daher, dem Bonner Beispiel zu folgen (verständlicherweise würde sich dann der vierte Punkt in Ihrem Entwurf nicht mehr so medienwirksam lesen: z.B. "Kinder und Jugendliche vor religiösen Minderheiten und Gewalt in den Medien schützen").
3. Warum lässt sich eine an sich seriöse Organisation wie der ÖFB als "Sektenkeule" benutzen?
Man würde annehmen, dass es das Bestreben des ÖFB ist Familien zu helfen. Durch solche unqualifizierten Hetzslogans werden Sie jedoch dazu beitragen, dass Kinder, deren Eltern religiösen Minderheiten angehören, jetzt noch mehr Opfer von Ausgrenzung werden, indem sie von ihren Mitschülern und vielleicht sogar von Lehrkräften wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit gehänselt und diskriminiert werden. Aktuelle Fälle solcher Diskriminierungen sind FOREF bekannt (werden demnächst auf dieser Website www.religionsfreiheit.at publiziert werden). Auch der Landesschulrat bestätigt, dass es sich um keine Einzelfälle handelt.
Es ist unvorstellbar, dass die Intensivierung einer solch bedenklichen Entwicklung das erklärte Ziel des Familienbundes sein kann. Ist die Situation für Familien aus den staatlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften ohnehin nicht schon schwierig genug? 1997/98 wurden zwei Gesetze eingeführt, welche die Rechte religiöser Minderheiten stark einschränken und ihre Mitglieder zum Objekt staatlich betriebener Beobachtung und Gesinnungsschnüffelei machen. Diese Gesetze wurden schon Zielscheibe internationaler Kritik seitens verschiedener Menschenrechtsorganisationen, zahlreicher Medien und dem US State Department. Österreich hat sich in den letzten Jahren unter anderem auch dadurch einen denkbar schlechten Ruf hinsichtlich der Verletzung von Menschenrechten eingehandelt. De facto rangiert unser Land gemeinsam mit einigen GUS-Ländern bezüglich Religionsfreiheit im Schlußfeld. Fürwahr kein Grund, stolz zu sein.
4. Wo sind die Fakten, die eine solche Forderung rechtfertigen?
Sogar sogenannte "Sektenexperten" geben zu, dass sie nur bei höchstens 2% (!!!) der neuen Religionsgemeinschaften ein ernstzunehmendes Konfliktpotential orten. Die österreichischen Verfassungsexperten Professor DDr. Mayer und Dr. Christian Brünner waren schon vor der Einführung der beiden "Anti-Sektengesetze" der Meinung, dass die bestehenden Gesetze völlig ausreichten. Weder eine religiöse Sondergemeinschaft, noch deren Anhänger dürfen für sich in Anspruch nehmen, außerhalb dieser Gesetze agieren zu können. Fehlverhalten muß geahndet werden. Durch die im Punkt vier erhobene Forderung nach Schutz unserer Kinder vor "Sekten" hat der ÖFB aber ein Urteil gefällt, ohne auch nur einen konkreten Tatbestand namhaft gemacht zu haben. Dies ist ein Skandal.
Der prominente Tiroler Kinder- und Jugendpsychologe Dr. Zangerle hatte es während seiner 30-jährigen Berufslaufbahn in nur drei Fällen mit Satanisten zu tun und verurteilt jegliche Art von Dämonisierung von Religionsgemeinschaften seitens sensationsgieriger Medien, die im Grunde vielmehr Probleme schaffen als lösen (ORF-Tirol). Die "Sektenstelle" der Bundespolizeidirektion in Wien hat trotz langjähriger Existenz kaum Vorfälle zu berichten. Die wenigen Fälle, bei denen sie einzuschreiten hatten, betrafen ebenfalls Satanisten-Grüppchen.
Ist es wirklich notwendig wieder neue Gesetze zu schaffen, mehr öffentliche Gelder auszugeben und zigtausende Familien noch mehr ins soziale Ghetto abzudrängen? Vor was fürchtet sich der Familienbund? Sind diese Ängste begründet oder sind sie rein xenophobischer Natur? Oder geht es vielleicht gar nur darum, politisches Kapital aus der von den Medien gekonnt hochgespielten "Sektengefahr" zu schlagen? Die zeitliche Positionierung dieses Volksbegehrens kurz vor einer Nationalratswahl ist sicherlich kein Zufall. Dass sich Wahlkampfstrategen einiges einfallen lassen, um den immer unfügsamer werdenden Wähler doch noch zu gewinnen, ist ihre Aufgabe. Der Österreichische Familienbund scheut offensichtlich nicht davor zurück, Rufmord an tausenden unbescholtenen Bürgern zu begehen. Ohne jeden Beweis wirft er ihnen die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen vor - und das möglicherweise nur, um der ihm (dem ÖFB) nahestehenden Partei unter die Arme zu greifen. Das ist schockierend!
Die Bonner Regierung hat jedenfalls nach einer zweijährigen Untersuchung des "Sektenproblems" durch die Enquete-Kommission Entwarnung gegeben Von den kleinen Religionsgemeinschaften geht kein größeres Konfliktpotential aus als von den Großkirchen.
5. DER "GLAUBENS-TÜV." Wer hat die Autorität zu bestimmen, welcher Glaube gut und welcher schlecht für den "Verbraucher" ist?
Der ehemalige deutsche Bundesminister Apel warnt vehement vor der Einführung eines "Glaubens-TÜV's" durch den Verbraucherschutz. Es wäre natürlich strikt verfassungswidrig, gegen das Gleichheitsprinzip (wenn nicht auch auf die Großkirchen angewandt) und auch gegen Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Wie absurd solch ein Vorschlag ist, lässt sich allein an der Problematik erkennen, wer eigentlich einen solchen "Unbedenklichkeitsbescheid" ausstellen soll. Dass ein Agnostiker oder gar Atheist der religiös-spirituellen Erfahrung eines gläubigen Menschen mit Unverständnis begegnen wird liegt auf Hand. Dass man von einem überzeugten Katholiken schwerlich ein ausgewogenes Urteil über fernöstliche Glaubenserfahrungen erwarten kann, ist ihm nicht anzulasten. Zu fordern, dass man Glaubensüberzeugungen vergleichen und bewerten soll, ist - milde gesagt - ein Ausdruck von Respektlosigkeit und Intoleranz, die man im ausgehenden 20.Jahrhundert eigentlich als Relikte längst vergangener Epochen gewähnt hat.
6. Sie behaupten in Ihrem Aufruf: "Sekten können die Gesundheit und die Zukunft unserer Jugend gefährden Hier ist gezielte Aufklärung notwendig. Im Sinne des Konsumentenschutzes sollten Sekten in Zukunft Auskunft über ihre Ziele, Arbeitsweise und ihre finanzielle Gebarung geben müssen."
Klingt das nicht allzusehr nach dem Anti-Sekten Jargon des NR Werner AMON (ÖVP) und einiger seiner Parteigenossen? Oder ist der Autor dieser Forderung sogar Peter Pitzinger (Leiter der Landessektenstelle - NÖ), dessen Frau Alice Pitzinger-Ryba bekanntlich Bundesgeschäftsführerin des Familienbundes ist?
Die Aussage, dass religiöse Minderheiten die Gesundheit und die Zukunft unserer Kinder gefährden können, ist äußerst pauschal und unsachlich. Schon in den 70iger und 80iger Jahren wurden seriöse Studien gemacht, die diese Aussagen widerlegen. Unser Bundesminister Dr. Bartenstein hat diese wissenschaftlichen Analysen völlig ignoriert und deren Existenz sogar der Öffentlichkeit vorenthalten (z.B. die "WIENER STUDIE" durchgeführt von Dr. Herbert BERGER u. Dr. Peter HEXEL, Europäisches Zentrum für Ausbildung und Forschung auf dem Gebiet der sozialen Wohlfahrt in Wien, finanziert vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit der BRD). Außerdem ist die obige Behauptung ein Affront gegen zahlreiche Eltern, die sich aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung um ihre Kinder kümmern, sie so erziehen, dass sie kaum für Drogen- und Alkoholmissbrauch anfällig sind und ihnen Familienwerte vermitteln, wie z.B. voreheliche Abstinenz oder Treue in der Partnerschaft. Es liegt in der Natur religiöser Menschen, dass sie sich an positiven Familienwerten orientieren. Die christlich fundierte ÖVP war aus diesem Grunde noch bis vor Kurzem die natürliche, politische Heimat verschiedener Religionsgemeinschaften. Leider wurden sie aus dieser Heimat durch die Inquisitionspolitik einiger führenden Politiker dieser Partei vertrieben.
Verständlicherweise wird man sich künftig mehr an Parteien orientieren, die sich glaubhaft für Menschenrechte, besonders für das Recht auf Religionsfreiheit, einsetzen.
7. Last not least ist es nicht paradox, Religionsgemeinschaften durch feindselige Gesetzgebung zuerst in den Untergrund zu drängen und dann zusätzlich staatliche Maßnahmen zu fordern, um mehr Transparenz zu erlangen? Wäre es nicht besser, das "Anerkennungsgesetz" (welches eigentlich ein "Aberkennungsgesetz" ist, so DDr. Mayer ) zu novellieren, um es den Bekenntnisgemeischaften allgemein leichter zu machen, offizielle Anerkennung zu erlangen?
Damit würden ihre Ziele, Arbeitsweisen und finanzielle Gebarung automatisch transparent für die Öffentlichkeit. Es würde zusätzlich den inneren Frieden unseres Landes fördern und viele Familien könnten damit glücklicher leben.
Wenn es dem Österreichischen Familienbund wirklich um das Wohl der Familien und der Gesellschaft geht (was Sie in in Ihren Publikationen immer wieder betonen), dann sollten Sie gerade den kleineren Religionsgemeinschaften die Hand reichen. Dort gibt es noch viele funktionierende Familien; Ehescheidungen kommen seltener vor. Drogenmissbrauch, Gewalt und Jugendkriminalität sind kaum vorhanden. Mit Sicherheit könnten Familien aus diesen Glaubensgemeinschaften viele positive Impulse in die heutige Familiendiskussion einbringen. Sollte der Familienbund nicht auch ein Forum für diese Familien sein?
Wie werden Sie dem Image gerecht, dass Sie der Öffentlichkeit auf Ihrer Homepage präsentieren "überparteilich und überkonfessionell," ... "für die Sicherung der Zukunft aller Familien," ... "Nach dem Grundsatz "Gerechtigkeit für die Familie" ... ?
Obwohl Österreich auf Dauer nicht dem Trend zur multikulturellen Gesellschaft entrinnen kann, scheint man sich mit Händen und Füßen dagegen zu sträuben. In einem Land, indem sogar die größte Glaubensgemeinschaft im internen Dialog kläglich versagt und wo Ökumene kaum über die gemeinsame Bekämpfung von "Sekten" hinausgeht, ist es wohl noch ein langer Weg hin zur toleranten und multikulturellen Gesellschaft. Paradoxerweise sind auch hier die weisen Worte des Lehrers eines asiatischen "Sektengründers" relevant und aktuell (obwohl sie schon vor 2500 Jahren gesprochen wurden) "Sogar die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt!"
In diesem Sinne appellieren wir an Ihr Gewissen, diesen ersten Schritt zu tun und bitten Sie daher, den Text des vierten Punktes im Entwurf des Volksbegehrens umgehend zu ändern.
Mit freundlichen Grüßen,Peter Zöhrer
im Namen des FOREF - Redaktionsteams