KOMMENTAR:

Zur Diskussion über neue religiöse Bewegungen im Familienausschuss des Österreichischen Nationalrats
vom 21.2.2002

von Dr. Christian SAILER 
Pressesprecher der Glaubensgemeinschaft Universelles Leben 


1.   Zunächst sollte das Parlament seinen Sprachgebrauch ändern: Der Begriff "Sekte" ist ein Schimpfwort, das die Amtskirche auf neue religiöse Bewegungen anwendet, um sie zu diskriminieren. Nach der Österreichischen Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention gilt Religionsfreiheit, bei der nicht zwischen "Kirchen" und "Sekten" zu unterscheiden ist, sondern die für jede religiöse Bewegung gilt, gleich, welchen rechtlichen Status sie hat.

2.   Dass die Entstehung neuer religiöser Bewegungen heute als "Sektenproblem" politisch thematisiert wird, hat keinen sachlichen Grund: Nur ein verschwindender Prozentsatz der Bevölkerung interessiert sich für neue religiöse Bewegungen; und die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder gar die Strafgesetze werden durch die Anhänger solcher Bewegungen keineswegs mehr gefährdet als durch andere Bürger, ganz zu schweigen vom Missbrauch Jugendlicher durch katholische Priester. Dass das Aufkommen neuer religiöser Bewegungen als gefährliches Phänomen hochgespielt wird, ist ausschließlich auf die Kirchen zurückzuführen. Sie wurden wieder rückfällig. Ihr alter Inquisitionsgeist keimt wieder mächtig auf, weshalb sie Beauftragte unterhalten, die mit harten Bandagen gegen neue religiöse Bewegungen kämpfen.

Nicht wenige dieser Bewegungen sind aus ehemaligen Kirchenmitgliedern entstanden, die sich von ihren Kirchen nicht zuletzt mit Rücksicht auf deren kriminelle Vergangenheit trennten. Eine wichtige Rolle spielen hierbei die Forschungsergebnisse des bekannten und vielfach ausgezeichneten Kirchenhistorikers Karlheinz Deschner, der seine Erkenntnisse einmal wie folgt zusammenfasste: "Nach intensiver Beschäftigung mit der Geschichte des Christentums kenne ich in Antike, Mittelalter und Neuzeit, einschließlich und besonders des 20.Jahrhunderts, keine Organisation der Welt, die zugleich so lange, so fortgesetzt und so scheußlich mit Verbrechen belastet ist wie die christliche Kirche, ganz besonders die römisch-katholische Kirche."

Unstreitig ist die kirchliche Verstrickung in Verbrechen nicht auf die Vergangenheit beschränkt, sondern bis in die jüngste Zeit wirksam – man denke etwa an die Ermordung von hunderttausenden orthodoxer Serben Mitte des vorigen Jahrhunderts unter maßgeblicher Beteiligung katholischer Geistlicher und stillschweigender Duldung des Vatikans, oder an die Massaker in Ruanda, an denen katholische Priester und Nonnen beteiligt waren, die kürzlich wegen Völkermordes verurteilt wurden.

Insofern nimmt es Wunder, dass sich die kirchlichen Institutionen heute anmaßen, religiöse Konkurrenten pauschal als "gefährliche Sekten" anzuschwärzen, wobei sie, was weniger wundert, auf diese vor allem Eigenschaften projizieren, die man vorwiegend aus der kirchlichen Vergangenheit kennt: Absolutheitsansprüche, totalitäre Vereinnahmung von Mitgliedern, pekuniäre Begehrlichkeiten etc.

3. Nachdem es sich bei der Verfolgung religiöser Minderheiten um einen Feldzug der Kirchen gegen religiöse Konkurrenz handelt, ist es völlig unvertretbar, dass der Staat hier mit den Kirchen gemeinsame Sache macht. Sogen. Sektenberichte, die von kirchlichen Stellen in Verbindung mit österreichischen Behörden herausgegeben werden, sind ein Verstoß gegen das Gebot weltanschaulicher Neutralität des Staates und die in der Verfassung gewährleistete Religionsfreiheit. Die Existenz der "Bundesstelle für Sektenfragen" und die Einrichtung von einer "Sektenstelle" bei der Bundespolizeidirektion sind Ausdruck kirchlicher Vereinnahmung staatlicher Aktivitäten, für die unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und des Jugendschutzes kein Anlass besteht. Die geltenden Strafgesetze reichen völlig aus, um etwaigen Gefahren vorzubeugen und etwaige Rechtsverstöße zu ahnden.

4. Da solche Verstöße in dem so gefährlich hochstilisierten Bereich neuer religiöser Bewegungen praktisch nicht feststellbar sind, ist die Bundessektenstelle im Grunde nichts anderes als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für einen Theologen, der sich mit selbst geschaffenen Problemen beschäftigt.

 Offenbar gelingt es der Sektenstelle des Herrn German Müller inzwischen, aus der Beschäftigung mit sich selbst herauszutreten und durch seine "Informationstätigkeit" Anfragen bei seiner Dienststelle zu produzieren. Mit der von Müller vorgeschlagenen "Durchführung von Multiplikatorenschulungen" soll dies nun intensiviert werden; und mit dem "Aufbau eines Helfernetzwerkes" soll offenbar für flächendeckende Inquisition gesorgt werden.

 Was die Motivation seiner Arbeit angeht, so merkt er offenbar gar nicht mehr, mit welchem Irrwitz er sie begründet: Das "generelle Problem" bestehe darin, dass die "Betroffenen ... Zuwendung, Geborgenheit oder intellektuelle Verbesserung" suchen. Hier würden "viele Sekten ansetzen". Und? Was ist dagegen einzuwenden, wenn Jugendliche "intellektuelle Verbesserung" oder "Geborgenheit" bei neuen religiösen Bewegungen finden – außer, dass dadurch den Kirchen noch mehr Gläubige davonlaufen?

5.  Der Hinweis, dass sich staatliche Missionierung zugunsten der Kirchen verbietet, ist auch angesichts der Bemerkung Müllers veranlasst, man müsse auf "Kinder zugehen, die in Sekten hineingeboren werden."

In wohl kaum einer der neuen religiösen Bewegungen werden Kinder so massiv vereinnahmt wie von der katholischen Kirche: Zunächst werden die Eltern unter Androhung schwerer Sündenstrafen dazu angehalten, die Säuglinge taufen zu lassen und damit zu juristischen Mitgliedern der Kirche zu machen. Werden die Kinder zu Jugendlichen und wollen sie sich von dieser Zwangsmitgliedschaft trennen, sagt ihnen der Religionslehrer, dass sie eine schwere Sünde begehen würden, wenn sie austreten würden. Nach dem katholischen Katechismus winkt bei schweren Sünden ewige Verdammnis. Vielleicht sollte Herr Müller zunächst Jugendschutz gegen das Zwangssystem seiner eigenen Kirche betreiben, bevor er mit staatlicher Hilfe Zwietracht in den Familien anderer Religionsgemeinschaften sät.

 Würzburg, den 26. Febr. 2002

                 Dr. Christian Sailer

Pressesprecher der Glaubensgemeinschaft
Universelles Leben


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